Kickstarted & Overfunded - was nun?

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Der folgende Text ist der Einstieg von Joe Köller bei VGT. Mein Landsmann hat sich in jüngster Zeit als "foreign correspondent" von Critical Distance und vor allem als Herausgeber der famosen englischsprachigen Online-Publikation Haywire Magazine betätigt; ich freue mich, in Zukunft hier regelmäßiger von ihm zu lesen. Welcome!

Normalerweise hat das Internet es ja nicht so mit dem Bezahlen und möchte Inhalte lieber gratis und sofort. Aber manchmal, für den richtigen Zweck, sitzt die Brieftasche auch locker. Nach diesem Prinzip versuchen seit 2009 auf Kickstarter Leute guten Willen, Idealismus oder Nostalgie zu Geld zu machen um damit ihre interessanten oder auch kuriosen Projekte zu finanzieren. Bestimmt muss nicht erwähnt werden, dass auch die Spielebranche die Plattform mittlerweile für sich entdeckt hat. Diverse Veteranen sammeln dort mit Erfolg Geld für Neuauflagen oder Fortsetzungen beliebter Klassiker.

Dabei sind die Nutzer von Kickstarter mitunter so großzügig, dass Projekte weit über ihr ursprüngliches Ziel hinausschießen. Sehr weit. Das stellt nicht nur Entwickler und sonstige Kreative vor ein eher ungewöhnliches Problem (Wohin bloß mit dem ganzen Geld?), sondern ändert auch die Erwartungshaltung ihrer spendablen Unterstützer, die sich für den Überfluss an Mitteln ein entsprechend größeres und ambitionierteres Projekt erwarten. Wozu verpflichtet der unerwartete Geldsegen aber wirklich, und wozu eben nicht?

Kickstarter selbst widmet dem Thema "Overfunding" ein paar Worte in seinem FAQ - und stellt dabei zunächst fest, dass der vermeintliche Überschuss oft sowieso durch höhere Kosten aufgefressen wird: Wer mehr Spender hat, muss auch mehr Belohnungen verschicken. Natürlich sollten diese nicht so konzipiert sein, dass man bei großem Interesse Verluste macht, aber der eigentliche Gewinn dürfte niedriger ausfallen, als den wartenden Kunden klar ist, zumindest bei physischen Medien und Belohnungen.

Computerspiele und Videos haben den Vorteil, dass sie mit einer einzigen Version und digitalem Vertrieb theoretisch ein unbegrenztes Publikum bedienen können. Aus diesem Grund verdient sich Steam schon lange mit niedrigen Preisen eine goldene Nase. Aber egal, wie viel Geld nun genau übrig bleibt, die eigentliche Frage ist ja, was damit passieren sollte. Hier lässt Kickstarter den Machern freie Hand: Der Überschuss kann in das Projekt fließen, muss aber nicht. Im Prinzip handelt es sich dabei schlicht um Profit - und entgegen der allgemeinen Meinung darf man auch mit Projekten, die einem am Herzen liegen, Gewinn machen.

Was tun, wenn ein Kickstarter-

Projekt viel mehr

einnimmt, als verlangt wurde?

Grundsätzlich gibt Kickstarter in seinen Nutzungsbedingungen nur eine bindende Regel zu diesem Thema an: Alle versprochenen Belohnungen müssen bereitgestellt oder die entsprechende Summe zurückerstattet werden. Da sich dabei in der Regel um Exemplare des geplanten Spiels, Produkts oder Kunstwerks handelt, sollte es dem beworbenen Standard entsprechen. Darüber hinauszugehen ist lobenswerter, aber optionaler Ehrgeiz.

Mittlerweile umgehen viele Projekte auf Kickstarter diese Frage mithilfe von Stretch Goals, Bonuszielen, die genau angeben, was sich an dem Projekt noch ändern wird, wenn es bestimmte Summen erreicht. Dadurch liefern die Ersteller ihren Unterstützern nicht nur konkrete Gründe, warum sie sie auch nach erfolgreicher Finanzierung weiter mit Geld überschütten sollten; indem sie diese Ziele und Pläne ausformulieren, verpflichten sie sich auch, sie später zu erfüllen. Stretch Goals sind aber erst seit kurzem populär, die erste Welle an Projekten, die sich nun der Vollendung nähert, kam noch ohne sie aus und lässt damit Raum für Interpretation.

722Overfunded: FTL

Im September letzten Jahres wurde FTL: Faster Than Light als einer der ersten Crowdfundingtitel kommerziell veröffentlicht, nachdem das Spiel sechs Monate zuvor rund 200.000$ auf Kickstarter erreicht hatte - 20 mal so viel wie ursprünglich geplant. Wie genau diese Menge an Sterntalern die Produktion des Raumschiff-Roguelikes verändert hat, lässt sich schwer sagen, trotzdem fiel die Rezeption des Titels durchgehend positiv aus. Die ursprüngliche Idee allein überzeugte, auch wenn das Spiel nicht zum Erfolg proportional vergrößert wurde.

Dass die Reaktionen auch anders ausfallen können, zeigt ein kontroverseres Projekt, Anita Sarkeesians "Tropes vs Women"-Videoserie, deren lang erwartete Ankunft derzeit im Netz für Furore sorgt. Die meisten Kommentare zu dem Thema kann man sich noch immer nicht guten Gewissens antun, aber auch durch vernünftige Beiträge zieht sich ein für mich beunruhigender Tenor: “Ganz nett, aber für 160.000$ wäre doch mehr drin gewesen, nicht?”

Zur Erinnerung: Auf Kickstarter verpflichten sich nicht etwa Kreative ihren Kunden, sondern das Publikum verpflichtet sich Projekten.

Ja, das wär es wohl. Aber mehr zu verlangen, kommt nicht nur dem sexistischen Gekreische, das Sarkeesian mit Vergnügen als Diebin oder Betrügerin hinstellt, gefährlich nahe - es bedeutet auch eine grundsätzliche Fehlinterpretation der Machtverhältnisse im Crowdfunding. Zur Erinnerung: Auf Kickstarter verpflichten sich nicht etwa Kreative ihren Kunden, sondern das Publikum verpflichtet sich Projekten. Man wird zum Backer, nicht zum Investor oder Teilhaber, sondern bloß zum Unterstützer, das Recht auf Mitsprache nicht zwangsläufig inbegriffen

Der finanzielle Erfolg von Tropes vs. Women basiert im Grunde weniger auf Anita Sarkeesians eigenem überbordendem Enthusiasmus, als dem Versuch ihrer Unterstützer, das Projekt in Beschlag zu nehmen, um mit barem Geld die sexistische Hetze, die ihr widerfahren ist auszugleichen und dann am besten auch noch zu bekämpfen und den  Sexismus in Spielerkreisen vielleicht gleich auszumerzen. Von Sarkeesian zu verlangen, dass sie diesen emotionalen Geldschwall in ein sinnvolles Projekt entsprechender Größe verwandelt, dass sie ihren Ehrgeiz doch dem Gebrüll der Massen anpassen solle, ist bizarr. Wieso gilt es jetzt als entäuschend, lediglich das abzuliefern, was man von Anfang an versprochen hat?

Zumal auch keine Einigkeit darüber herrscht, wie denn nun dieses Mehr aussehen sollte. Mehr Dynamik, einen Gesprächspartner vielleicht oder doch gleich eine Interviewreihe? Ein Freund meinte kürzlich, sie hätte doch gleich eine ganze Dokumentation drehen können, und auch Kollisionsabfrage muss man unterstellen, dass der Budgetvergleich mit "Indie Game: The Movie" nicht zufällig gewählt ist. Eines haben die Vorschläge gemeinsam: Mehr bedeutet hier in der Regel “etwas anderes”. Aber etwas anderes als ursprünglich angekündigt zu produzieren, ist rechtlich fragwürdig und wohl auch angreifbar, selbst wenn die Alternative den Großteil der Unterstützer zufrieden stellt.

Auch wenn die meisten Nutzer von Kickstarter, in der Regel Überzeugungstäter, liebend gern mehr Zeit und Geld in ihre Projekte investieren würden, nicht alle Pläne lassen sich beliebig und sinnvoll erweitern. Mehr noch: Die Vorstellung, dass man sich jederzeit dem Druck des Kapitals fügen müsse, hieße ja auch, dass das Publikum mit genügend Geld jedes Projekt umkrempeln, verdrehen oder in eine Karikatur seiner selbst verwandeln kann. Wenn jemand für 10.000$ ein Brettspiel entwerfen will, muss er es dann für 100.000$ zum Computerspiel umbauen? Wenn ich anbiete, für 1.000$ einmal zu Fuß um die Welt zu gehen, muss ich es für 5.000$ fünfmal hintereinander machen?

Natürlich soll niemandem verboten werden, von "Tropes vs. Women" oder anderen Crowdfundingprojekten enttäuscht zu sein - nur gehört das eben zum Risiko des Geschäftsmodells und sollte schon bedacht werden, bevor man die jeweilige Katze im Sack kauft. Genau wie die Möglichkeit, dass das Projekt scheitern könnte, oder auch die Frage ob der eigene Beitrag noch sinnvoll ist, wenn es doch ohnehin schon finanziert ist. Die Macht, die Kickstarter uns, den zahlenden Massen, verleiht, bringt eben auch Verantwortung mit sich.

Vor allem aber sollte man mit derartigen Überlegungen vorsichtig sein, wenn man sich - wie wohl die meisten Diskutanten - am jeweiligen Projekt ohnehin nie beteiligt hat. Denn sich als “Nutznießer” zu fragen, ob dem zahlenden Publikum hier für sein Geld denn auch genug geboten wird, ist irgendwie zynisch.

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