VGT goes GameStandard: Best of Indie Juni 2013

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Die monatliche Kooperation mit dem GameStandard zeigt wieder ein Best-of der schönsten Indie-Games-News. 

Dass sich im Gegensatz zum millionenschweren Mainstream die kleinteilige Indie-Szene mit Experimenten leicht tut, zeigt sich auch im Umgang mit dem Erzählen im Spiel. Wir erinnern uns: Der ewige Spagat zwischen Erzählen und Gameplay hat ja nicht nur die akademische Games-Studies-Gemeinde typisch grabenkampfmäßig in zwei Teile gespalten, sondern kann auch als ureigenste Charakteristik eines interaktiven Mediums betrachtet werden.

Während im großen Mainstream nun seit jeher der Film als Maß aller Unterhaltungsdinge angesehen und oft das Streben nach dem besonders "filmischen" Spielerlebnis als Ziel betrachtet wird, fällt dieser Ehrgeiz bei den meisten Indies aus finanziellen Gründen von Vornherein flach: So cinematisch wie "Last of Us" oder "Tomb Raider" kann und will kaum ein Indie-Game seine Story in perfekt gefilmten und professionell vertonten Cutscenes dem Spieler präsentieren.

Das ist aber nicht so schlimm, denn eigentlich liegt die Stärke des interaktiven Erzählens im Game ja auch ganz woanders, nämlich darin, die Entscheidungen des Spielers sinnvoll und merkbar in die Geschichte mit einfließen zu lassen. Dass auf diesem Gebiet noch viel Raum für Kreatives ist, bewiesen im letzten Monat gleich drei kleine narrative Indie-Experimente, die Bemerkenswertes zum Thema interaktives Erzählen zu sagen haben und deshalb abseits des üblichen Best-of Erwähnung finden sollen.

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Zunächst sei hier das am besten für Multiplayer-Runden geeignete Pseudo-Brettspiel-plus-Visual-Novel  "The Yawhg" genannt, das aus einem beeindruckend dichten erzählerischen Labyrinth aus Entweder-Oder-Fragen seine Geschichte spinnt und so in vielen Varianten für jeden Mitspieler eine eigene Variante erzählt. Auch der heiß ersehnte zweite Teil des stylischen "Kentucky Route Zero" treibt seine Spielchen mit dem Erzählen auf originellste Art und Weise weiter (und ist leider schon wieder viel zu schnell an seinem Ende angelangt). Tipp drei zum Thema originelles Erzählen aber gebührt eindeutig dem Freeware-Spiel "Save the Date" - Spieler mit Freude am Experiment und cleveren Metakommentar können hier tatsächlich einer Erzählung dabei zusehen, wie sie sich in allen Möglichkeitsformen und Entscheidungsmöglichkeiten windet.

Aber natürlich geht's auch im Independent-Bereich nicht NUR ums Erzählen - das Gameplay macht schließlich auch Indie-Games erst zu Games. Hier die bemerkenswertesten Indie-Spiele des vergangenen Monats.

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Gunpoint (Windows, ca. 8 Euro)

Ein Indie-Highlight des Monats: Im Debütspiel des Games-Journalisten Tom Francis erlebt man als Hightech-Einbrecher in charmantem 2D-Retro-Style ein Noir-Thrillerchen mit Augenzwinkern und Extraportion Spielwitz. Um seine Unschuld im vertrackten Intrigenlabyrinth zu beweisen, muss der Spieler kontinuierlich schwierigere Infiltrationsmissionen in Bürogebäuden absolvieren - Hightech-Hosen ermöglichen dabei das akrobatische Springen und allerlei Gadgets das Umprogrammieren der Haustechnik, um den Weg freizumachen. So verknüpft man etwa elegant den Lärmdetektor mit der verschlossenen Tür, schickt per Umprogrammierung Aufzüge durchs Haus oder elektrokutiert die gefährlichen Wachen mit Strom aus der Steckdose. Dabei hat der Spieler stets die Wahl, ob er als schießwütiger Rambo oder stiller Ninja durch die Gebäude schleicht.

Die Kampagne ist kurz, aber witzig-charmant, und der Leveleditor sollte für Nachschub aus dem Netz sorgen. Für Tom Francis hat sich der "Seitenwechsel" bezahlt gemacht: Nach dem durchaus verdienten kommerziellen Erfolg seines Erstlings will sich der Brite künftig ganz auf die Spieleproduktion verlegen. Und wenn dabei Perlen wie "Gunpoint" entstehen, haben auch Indie-Freunde etwas davon. Erfreulich: Es gibt eine Demo; meine Review für fm4 gibt's hier.

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Magrunner: Dark Pulse ( PC Windows, 19,95 Euro; PS3, XBox360 in Vorbereitung)

Sich eines der größten und beliebtesten Spiele der Gamesgeschichte zum Vorbild zu nehmen, kann auch ins Auge gehen, und auch der First-Person-Puzzler der ukrainischen Entwickler 3 AM Games schafft es natürlich nicht, an die legendäre Größe des Genre-Erfinders "Portal" heranzukommen. Das ist aber halb so wild, denn auch so ist "Magrunner" ein durchaus gelungenes Rätsel-Action-Spiel geworden, in dem man nicht nur clevere Magnetismuspuzzles zu bewältigen hat, sondern auch in einer immer lovecraftiger werdenden Story herumirrt.

Leider - aber erwartbarerweise - reicht "Magrunners" Magnetismus-Gadget nicht an die Genialität der Portalkanone heran, doch haben sich die Entwickler in Sachen Rätseldesign doch ein paar hübsche Tricks einfallen lassen. Wer mit "Quantum Conundrum", den letztjährigen "Portal"-Herausforderer, seine Freude hatte, findet auch mit "Magrunner" angenehm fordernde Rätselkost ähnlichen Kalibers - auch wenn Valves Testkammern unangefochten bleiben.

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The Swapper (Windows, ca. 12 Euro)

Vielfach auf diversen Indie-Festivals vorprämiert wurde "The Swapper", ein atmosphärisch überaus dichtes und das Gehirnschmalz fordernder 2D-Puzzler mit origineller Mechanik: Per Knopfdruck kann man bis zu drei zusätzliche Klone eines einsamen Astronauten herbeibeamen und so hoffentlich die immer kniffliger werdenden Rätsel der verlassenen Science-Fiction-Welt lösen.

Die grafisch sehr gelungene Gestaltung sowie die überaus originelle Spielmechanik machen "The Swapper" definitiv zum Tipp für Indie-Freunde mit Hang zum Puzzle-Action-Adventure.

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The Occult Chronicles (Windows, ca. 12 Euro)

Achtung, work in progress: Vic Davis' neues Singleplayer-Spiel ist noch in Beta, Freunde des verschroben-abwegigen Brettspielens können aber schon jetzt in diversen Spukhäusern auf die Jagd nach den Großen Alten oder anderen unaussprechlichen Schrecken klassisch Lovecraft'scher Prägung gehen. Im Unterschied zum Multiplayer-Wahnsinn von "Solium Infernum" muss man sich hier nicht mit dem blanken Macchiavellismus seiner Mitmenschen herumquälen, sondern "nur" den Computer bezwingen. Gestorben wird trotzdem viel und häufig, doch die Pulp-Horrorstories, die das Spiel dabei jedes Mal aufs Neue generiert, entschädigen für so manche Schwäche.

Wie alle Spiele des Indie-Ausnahme-Entwicklers Davis erschließt sich auch "Occult Chronicles" nur denen, die bereit sind, das umfangreiche pdf-Handbuch zu studieren, an Taktiken zu knobeln und mit den Tücken des Interfaces zu kämpfen, aber wer einmal in die Tiefen dieser hyperkomplexen Brettspielsimulationen vorgedrungen ist, die für echte Brettspiele weit zu komplex wären, findet in den seltsam faszinierenden Spielmechanismen und Systemen verlässlich etwas, um sich die Zähne daran auszubeißen. Nicht für jedermann!

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Tiny Barbarian DX (Windows, 8 Euro)

Vielleicht ist es ja ein Klischee, aber etwas 8-bit-Masochismus darf auch im Best-of Juni nicht fehlen: Der winzige Barbar hat via Kickstarter seinen Weg in die Hände retro-liebender Actionfreunde gefunden und zitiert mit einer Begeisterung 80er-Jahre-Sword&Sorcery und Videospielgeschichte, dass Nostalgiker alleine schon dafür freudig Crom danken werden. Dass der Barbar gar so tiny ist, macht dafür die liebevoll gestalteten Schauplätze des Fantasy-Abenteuers umso monumentaler.

Als erste von mehreren angekündigten Episoden passen sowohl Kürze als auch Unterhaltsamkeit zur klassischen Pulp-Short-Fiction; der kostenlose Quasi-Vorgänger "Tiny Barbarian" bietet nur einen ungefähren Vorgeschmack auf die umfangreichere DX-Version.

Wie üblich im Indie-Bereich laden auch noch andere Titel zum Besuch der Open Beta: Diesmal stehen, wie letztes Mal schon angekündigt, Mojangs Strategie-Sammelkarten-Monster "Scrolls" und Chris Heckers interessantes Multiplayer-Experiment "SpyParty" für Neugierige offen.

Zum Abschluss noch ein Hinweis für die diesen Monat leer ausgehenden iOS-Spieler: Durchhalten! Das große "Limbo", einer der unbestritten gelungensten Indie-Titel der letzten Jahre, wird Anfang Juli für Apple-Devices erscheinen.

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