VGT BEST OF GOTY OMG GESPRÄCHSDISKUSSIONSRUNDENDINGSBUMS 2015

Lebkuchenhaus, Innenansicht

Joe: Christof moderiert heute, ist aber noch nicht hier. Deswegen ist jetzt der Zeitpunkt wo Rainer eine lustige Anekdote erzählt, bevor wir das Intro abspielen.

Rainer: Wie bitte?

Joe: Ach so, richtig, das ist ja gar kein Podcast. Höchstens ein Wordcast. Trotzdem müssen wir irgendwie die Zeit überbrücken. Wir sind völlig auf uns allein gestellt!

Rainer: Das wäre der richtige Zeitpunkt, um über Topfpflanzen oder so zu reden. Das kommt sonst immer zu kurz. Oder wir reden über Spiele, die wir nicht gespielt haben dieses Jahr. Witcher 3! Metal Gear Solid V! Destiny!

Joe: Ich hab mir dieses Jahr eine Basilikumpflanze zugelegt, die trotz meiner Pflege noch nicht eingegangen ist. Vielleicht braucht sie aber mal einen größeren Topf. Wäre das der geeignete Zeitpunkt, über die neue Konsolengeneration zu reden?

Rainer: Der du noch nicht beigetreten bist.

Joe: Ich hab eine Vita! Die modernste Konsole von allen. Zwei Touchscreens! Es gibt praktisch keine Oberfläche an dem Ding, die sich nicht zur Steuerung irgendwelcher Quicktime Events verwenden lässt.

Rainer: Ich weiß ja, warum du dir eine PS4 kaufen sollst, aber andererseits kommt Dark Souls 3 ja auch für PC. Und ich träume davon, dass das die letzte Konsolengeneration ist. Bitte, Gott, mach Streaming. Oder irgendwas, was dieses blöde “platform exclusive” vom Erdboden verschwinden lässt.

Joe: Stimmt schon, ohne eine PS4 macht die Vita nur halb so viel Sinn, da kommt ja noch der Second Screen zum doppelten Touchscreen. Screens überall, wo du hinschaust, und sogar dort, wo nicht! Dass es vielleicht/hoffentlich/möglicherweise die letzte Konsolengeneration wäre, sagen die Leute aber bei jeder neuen, oder? Solange der Wiener seine PS4 und sein Würstel hat, revoltiert er nicht.

Laute Schritte von draußen, plötzlich wird die Tür eingetreten und Christof steht schneeumweht auf der Schwelle.

Christof: Rainer, lass aus! Du wirst an diesem Abend keine Provisionen bekommen für Konsolen, die du uns aufgeschnorrt hast. Joe! Lass dir nie glauben machen, du könntest dein Basilikum in deiner Abwesenheit ernähren durch eine in Wasser getränkte Schnur… Lügenpresse, und dann bleibt nur noch der vertrocknete Leichnam deiner Lieblingspflanze übrig! Mit anderen Worten: Gentlebeings, I’m back! Oder here. Oder so. Ich war nur kurz draussen und hab die Krampus-Meldeanlagen aufgestellt und den Punsch auf den Herd. Jetzt wird’s hier gleich schweinebehaglich.

Rainer: Was ist dieses “draußen”, von dem ihr sprecht?

Christof: Eine dunkle, feindselige, kalte Welt voller Gefahren, und nicht mal Lagerfeuer gibt’s, die einen wiedererwecken, wenn man gräuselig gemeuchelet wurde. Rainer, du willst das gar nicht kennenlernen.

Rainer: Ok.

Christof: Nachdem jetzt Stimmung in der Hütte ist, können wir ja anfangen. Darum gleich hier BÄM die erste Frage, hinterrücks und fadengrade: Die Herren! 2015 wird von einigen Leuten als ein gutes Jahr für Spiele betrachtet, das sogar legendären Jahrgängen wie dem mythischen Jahr 1998 das Wasser reichen können soll. Noch ohne konkrete einzelne Spiele auf das Podest heben zu wollen frage ich in die Runde: Stimmt das? War 2015 objektiv gesehen fesch? Und weil Objektivität ja nur etwas für Zeiss-Fabriken ist, stellen wir die Frage nochmal anders: Wie war euer Spielejahr 2015, so allgemein?

Rainer: Ich habe keine Ahnung. Das Problem, das sich bei mir mit zunehmendem Bezahlt-über-Spiele-Schreiben einstellt, ist natürlich von außen betrachtet ein Luxusproblem, aber tatsächlich: Wer sein Hobby zum Beruf macht, hat ein Hobby weniger. Insofern ist der Blick aufs Spielejahr bei mir von einem “Uff” begleitet. Das Jahr war stressig, vieles musste sein, die Kür war spärlich. Allerdings war die Kür, sprich: das völlig zweckbefreite private Spielen meinerseits, dann doch spektakulär: Selten zuvor habe ich mich so verwertungsfrei so lange mit ein, zwei Spielen beschäftigt.

So betrachtet - aus dieser sehr subjektiven Ecke dessen, der sich Spielen als Hobby nebenbei mit Zähnen und Klauen erarbeiten muss - sind ausgerechnet die Spiele von From Software mein persönliches Mitbringsel aus diesem Jahr. So sehr entsprach mein Spielen heuer sonst nirgends der klassischen Huizinga-Definition: “freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selber hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ‚Andersseins‘ als das ‚gewöhnliche Leben‘.” Wie gut, dass ich keine Rezension zu Bloodborne schreiben musste!

Robert tritt aus einer schattigen Ecke beim Kamin und gesellt sich zur Runde.

Robert: Wenn du das Zitat aus dem Kopf hier reingeschrieben hast, wäre ich beeindruckt, Rainer.

Rainer: Wikipedia, mon amour. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Die Liebe zum Medium überwiegt. Gute Spiele gab’s. Ja, einige. Aber der laufende Zirkus geht mir immer öfter am Arsch vorbei, was die Teilnahme am empathischen Hype schwerer macht. 2015: Das Jahr des “WIESO PASSIERT DA NIX REVOLUTIONÄRES VERDAMMT”. Oder “Das Jahr, in dem mir Open World nach Schema F endgültig den letzten Nerv geraubt hat”. Ihr so?

Christof: 181 Wörter, bis Rainer zum ersten Mal Bloodborne geschrieben hat! Wir müssen stolz auf ihn sein, auch wenn eigentlich nicht von einzelnen Spielen die Rede sein sollte. Ich glaube, 2015 wird mir in Erinnerung bleiben als das Jahr, in dem Rainer Sigl von Bloodborne erzählte.

Rainer: Es ist nicht ganz schlecht, ja.

Joe: Geschrieben? Geschrien! Und die Zeit von null auf Huizinga ist in dieser Runde auch erstaunlich niedrig.

Mir war eigentlich nicht bewusst, dass 2015 als gutes Jahr empfunden wurde, nachdem ich von manchen Seiten auch das völlige Gegenteil höre. Das Erleben ist da vermutlich einfach uneinheitlich. Ich habe etwa den Eindruck heuer wenig gespielt zu haben, was aber offensichtlich nicht stimmt. Das Gefühl dürfte eher daher kommen, dass ich mich sehr viel mit einigen wenigen, eher älteren Spielen aufgehalten hab und dafür den Großteil der Neuheiten ausgelassen. So gesehen bestätigt sich da Rainers Eindruck, mit wenigen Titeln sehr lange ausgekommen zu sein.

Christof: Bei mir war das Jahr geprägt durch viel Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort, was zu einer gewissen Grundmüdigkeit beim Heimkommen führte. Nicht, dass ich keine Lust auf Spielen hatte, aber ich scheute mich vor Spielen, die sich nicht in sinnvolle kleinere Portionen aufteilen ließen. Das Schöne dabei, und auch der Grund, warum ich 2015 als gutes Jahr wahrgenommen habe : Es gab durchaus genügend Spiele, die kurz waren oder portionierbar und dabei trotzdem komplett wirkten -- dass dies neben den von Rainer bereits erwähnten Uber-Open World-Giganten (die ja in diesem Jahr auch sehr gelobt wurden) seinen Platz fand, spricht doch für ein in vielen Feldern interessantes Jahr.

Robert: Ich bin ein bisschen erleichtert, dass wir alle ähnliche Wahrnehmungen und Spielgewohnheiten zu haben scheinen - liegt das am zunehmenden Alter oder dass wir uns vom Wesen her durch unsere VGT-Quasi-Ehe immer ähnlicher werden? Wie dem auch sei, mir geht es ähnlich: Ich spiele lieber ausgewählte Titel und ansonsten am liebsten Games, die in kürzeren Zeitperioden erlebbar sind. Was für Rainer Bloodborne ist, ist bei mir Hearthstone - das ist durch manche Zeitperioden in 2015 das einzige Game gewesen, das ich “privat” gespielt habe, dafür wirklich sehr ausgiebig, was toll ist - man taucht in ein Game und die entsprechende Community ein, das hat schon eine besondere Qualität.. Ansonsten sind weiterhin Indiegames auf iOS mein liebstes “Genre” - man kann so viel entdecken und verirrt sich nicht in Stunden um Stunden, die einem danach abgehen.

Joe: In meinem Fall wars Rocket League. Und Hearthstone. Elende Sucht.

Robert: Was das “Ist 2015 das neue 1998?” in Bezug auf Games betrifft, solltest du eventuell ein bisschen näher ausholen, Christof? Bin mir nicht sicher, was die Grundlage für diese Annahme für dich ist.

Christof: Ein nicht mehr auffindbarer Tweet des von mir geschätzten Quintin Smith und die verzweifelte Suche nach einem Einstieg für dieses Gespräch? Das, und, glaube ich, die Tatsache, dass man mit 2015 eben doch Name-Dropping betreiben kann. Ich weiss aber nicht, ob der Ausruf The Witcher 3! Bloodborne! Metal Gear Solid: V! Destiny! Fallout 4! eines Tages denselben Klang haben wird wie Thief! Half-Life! Starcraft! Zelda: Ocarina of Time! Grim Fandango! Baldur’s Gate!

Robert: Aber ist da nicht auch viel Promotion-Brimborium schuld daran? Das ist ja mittlerweile so geschickt eingefädelt, dass selbst wir ach-so-kritischen Zeitgenossen sich davon oft täuschen lassen. Soll heißen: Ist ein Titel wie “The Witcher 3” tatsächlich revolutionär und fantastisch oder einfach ein solides “More of the same” in einem bemerkenswerten Umfang? Ah, und Joe: Rocket League würde ich auch gerne mehr spielen, aber dann passiert es doch nicht. Ich glaube, ich übe lieber mal Nuclear Throne.

Joe: So wird das nichts mit dem VGT-Team für die Liga.

Rainer: Zu Witcher 3: Ich vermute Letzteres, hab es aber nicht gespielt. Auch wegen dieser Vermutung. Guter Punkt: 2015 war vieles größer, bunter und in HD - aber richtig neu?

Christof: Gute Frage. Beim Zusammenstellen dieser 98er-Liste ist mir gerade aufgefallen, wie sehr diese nicht nur solide war, sondern eben auch Spiele enthält, die ganze Genres vorwärtsbrachten oder (neu) definierten. Hatte 2015 da etwas in die Richtung zu bieten, oder sind wir, wie Rainer meint, tatsächlich in einer Ära, in der Perfektionierung ohne Innovation das Beste ist, was wir erwarten können? Ich bin ja ein wenig optimistischer und sage mal: Ich hatte den Eindruck, dass 80 Days (erst 2015 für den PC erschienen) und Sunless Sea Interactive Fiction auf ein zumindest für mich interessantes, wen nicht zwingend neues dann doch anderes Level hob. Und dann erwähne ich doch einfach einmal Her Story und The Beginner’s Guide, die zu den oben erwähnten *kurzen, kompletten Erfahrungen” gehören -- und zumindest ansatzweise Neues versuchten. Hat jemand diese Spiele gespielt? Hat jemand eine Meinung?

Robert: Es gibt auch auf für iOS mittlerweile immer wieder interessante Interactive-Fiction-Titel.

Joe: Undertale wirkt auch neu, obwohl ich nicht weiß, ob es als Innovation gilt, etwas Altes abzuschaffen, wie den Zwang zu töten. Ich hab MGS V noch nicht gespielt, aber dass es da wohl einen Modus gibt in dem die Spielerschaft kollektiv Atomwaffen entschärft oder auch nicht, scheint spannend. Vor allem fällt mir aber auf, dass local multiplayer wieder modern ist. Der war bei Indies schon länger Thema, aber in letzter Zeit kommen schon fast monatlich neue Jackbox Spiele, die sich auch großer Beliebtheit zu erfreuen scheinen.

Das ist natürlich einerseits elende Hipsterei und andererseits auch schon länger im Anlaufen, aber insgesamt habe ich den Eindruck, dass spätestens 2015 die fortschreitende Feature-Fremdbestäubung weite Teile der AAA Landschaft in einheitlicher Eintönigkeit zurücklässt. Fallout 4 macht jetzt auf Survival-Sandbox mit Anteilen von Schircher Wohnen, wie sie auf Steam derzeit auch zu hunderten im Early Access dahinsiechen. GTA gibts jetzt als MMO, das virtuellen Reichtum für echtes Geld verkauft, und völlig egal wo, ständig müssen irgendwelche Werte verbessert und Dinge freigeschaltet werden.

Rainer: Die Ränder werden laufend interessanter, das große Business ist mit Behübschen der alten Ideen beschäftigt. Die von Christof genannten Spiele sind alle toll, aber es ist bezeichnend, dass bei da im Mobile-Sektor fast die größeren Innovationen geboren werden. Ansonsten gabs aus meiner Sicht viel “Innovationen” in Sachen Geschäftsmodell: Early Access, IAP, DLC, F2P-Modelle. Vielleicht wollen sich alle bis zum irgendwann erwarteten “Rise of VR” schonen, was spielerische oder inhaltliche Innovation betrifft.

Christof: ...wobei die meisten dieser Modelle auch nicht in 2015 neu erfunden wurden. Aber gutes Stichwort, Virtual Reality: Werdet ihr euch nächstes Jahr die Taucherbrillen umschnallen? Ich nehme nicht an, dass jemand von euch schon mit Oculus-Entwickleredition die Abende verbringt? Womit werden wir in 2016 unsere Abende verbringen? Bevor es zurück geht zum Rück- der Ausblick: Wird 2016 auch eher Stagnation werden? Ich sage ja voraus, dass 2016 vor allem geprägt sein wird durch das Erscheinen von The Magical Realms of Tír na nÓg: Escape from Necron 7 – Revenge of Cuchulainn: The Official Game of the Movie – Chapter 2 of the Hoopz Barkley SaGa, aber vielleicht habt ihr andere Sybillensprüche auf Lager?

Rainer: 2016 wird es wohl noch nichts mit VR bei mir, irgendwann muss es dann wohl sein. Leider, weil ich befürchte, dass dann für tatsächliche spielerische Innovation wieder ein paar Jahre Schluss ist, während alle die neue Technik verfeinern.

Robert: Ich verstehe die Befürchtungen, bin aber trotzdem neugierig und mal vorsichtig positiv eingestellt, was das Virtual-Reality-Frühjahr 2016 betrifft. Vermutlich wird es nicht lange dauern, bis der Novelty-Effekt abgeklungen ist, und spätestens dann müssen ohnehin gute Experiences an den Start. Stichwort Experiences: Was auch aufgehen könnte, ist ein fließender Übergang zwischen VR-Games und interaktiven VR-Erlebnissen. Vielleicht hilft das der leidigen “Is it a game”-Debatte mehr, als wir uns jetzt auszumalen imstande sind.

Rainer: Schön wärs. Dafür sind aber in den nächsten Jahren die technischen und finanziellen Hürden zu hoch. Die Kernkäufer, die jetzt schon kaufen, wollen Shooter und Spektakel, fürchte ich.

Joe: Alles was ich wirklich von VR haben will ist ein vernünftiges Weltraumspiel, das mich in das komplett simulierte Cockpit von irgendeinem schneidigen Schiff setzt und mich dann wild umherschleudert bis mir speiübel wird.. Dann steig ich von mir aus voll drauf ein.

Robert: Das heißt Elite: Dangerous!

Christof: Warum so negativ, die Herren? (Sage ich, bevor ich hinzufüge: Ich frage mich, ob John Walker nicht recht hat mit seiner miesepetrigen Einschätzung, dass Virtual Reality zum jetzigen Zeitpunkt ein gigantischer Flop werden wird, weil der Massenappeal abgesehen vom schnell abklingenden Wow-Faktor fehlt.) Aber es ist doch Weihnachten, quasi, darum will ich jetzt neben allem “Zu alt hierfür” und “zu altbacken da” ein wenig Liebe! Ein wenig Wärme! Was waren eure persönlichen Highlights von 2015? Nennen Sie Ross und Reiter, wie ein eher auf Unterhaltung denn Scharfsinn eingestellter Geschichtsprofessor von mir einmal meinte. Was waren eure GOTYs? Und warum? Runter mit den Hosen und raus mit dem Herzen!

Joe: Glaubst du, wir haben alle das Herz in der Hose?

Rainer: Ich sag’s nicht.

Robert: Rainer, Bloodborne und Hearthstone gelten mal nicht. Was bleibt über?

Rainer: Ich muss doch bei “Bloodborne” bleiben, vor allem, weil mich das DLC nach einem halben Jahr Abstinenz wieder völlig ins Spiel reingezogen hat und sich meine Ehrfurcht dadurch sogar noch stark vergrößert hat. Um die Leserschaft nicht zu sehr zu langweilen, hier meine Gründe für den ollen Miyazaki. Und noch eins: Eigentlich auch ein seltenes Ereignis, dass ich überhaupt so etwas wie ein “Game of the Year” benennen kann! Insofern ist Soulsborne dann wohl mein GOTD, mindestens.

Abgesehen davon: Beginner’s Guide war super, besonders im Tandem mit dem tollen Film “Exit Through The Gift Shop” von Banksy. Vielleicht kommt auch daher mein Jähzorn angesichts des soeben zum Spiel sich abspielenden journalistischen Unfugs. Sonst: Schwierig, weil eben wie oben gesagt viel Gutes, aber eben wenig Umwerfendes für meinen Geschmack dabei war. Und “objektiv” kann man das nicht sagen. Ich hab soeben für den Standard meine Indie-Best-of-Liste und meine Best-of-Mobile-Liste eingereicht - alles solide, wenig Revolution. Vielleicht bin ich auch nur durch Rapmusik verbittert.

Robert: Ich habe auch einiges, das mir gut gefallen hat, aber wo ich dabei dennoch nicht komplett ausgerastet bin: Starcraft 2: Legacy of the Void, Guitar Hero Live, Ori and The Blind Forest, die bereits erwähnten Rocket League und Nuclear Throne, Prune, Nubs Adventure*, Downwell, Everybody’s Gone To The Rapture, Life is Strange, Shooting Stars!, Captain Forever Remix.

Joe: Ich glaube Rocket League hat mich dieses Jahr am meisten begeistert, aber daneben war es etwa auch ein gutes Jahr für XCOM-likes: Darkest Dungeon, Invisible Inc. und jetzt Hard West vor kurzem. Auch gutes Roguelike Material mit dem finalen Release von Crypt of the Necrodancer, Kingdom, Rymdresa oder Lovers in a Dangerous Spacetime.

Christof: Ich finde es interessant, wie wenig Überschneidung diese Aufzählungen nicht nur haben mit “Mainstream-Bestenlisten”, aber auch wie wenig Titel mehrere von uns genannt haben. Was dann eben doch wieder dafür sprechen würde, dass bei allem Mangel an epochal Neuen in der Breite dann doch genügend Interessantes da war?

Rainer: Ja, es gab viel. Nur der Vergleich mit nostalgisch aufgeladenen “Best Gaming Years EV0R!!!” fällt halt etwas ernüchternd aus. Für mich.

Joe: So eine Auflistung allein scheint mir wenig spannend, deswegen möchte ich zumindest meinen Favoriten ein bisschen näher erklären.

Das wäre dann Rocket League, das ich innig liebe ob wohl es so überhaupt nicht für mich gemacht scheint: ein Sportspiel, im weitesten Sinne, das noch dazu mit fremden Leuten im Internet gespielt wird, die einem bekanntlich furchtbar gern die Schuld für alles geben was im entferntesten schief läuft. Warum also die Begeisterung? Das mag unschlüssig klingen, aber ich glaube es liegt daran, dass Rocket League die wirklichkeitsgetreueste Fußballumsetzung ist, die es derzeit gibt. Serien wie FIFA mit ihren ganzen Spielerwerten und Kaderdatenbanken simulieren eher den Zuschauersport, zeigen wie es wäre wenn ich eine Fernsehübertragung beeinflussen könnte. Rocket League mag mit seinen Explosionen und fliegenden Autos ein wenig vom originalen Sport abweichen, bildet aber glaube ich sehr genau ab, wie es sich anfühlt selbst zu spielen. Zuerst völlig unkoordiniert, die pure Freude überhaupt den Ball zu treffen, seine Bahn zu beeinflussen, das irgendwann sogar bewusst zu kontrollieren. Glaube ich jedenfalls. Beim echten Fußball bin ich nie so weit gekommen.

Christof: Bei mir gab es in 2015 durchaus nicht nur Gewimmer, sondern einen Knall. Weil der Wert eines Spiels sich ja bekanntlich berechnet ja mittels Kaufpreis dividiert durch Anzahl gespielte Stunden, ist Nuclear Throne mathematisch unanfechtbar DAS BESTE SPIEL DES JAHRES! Mathematisch! Unanfechtbar! Tatsächlich hatte ich schon 2014 davon geschwärmt, wie Vlambeer hier den Top-Down-Shooter im Roguelike-Modus zu einem alle Ganglien massierenden Höllentempo peitscht. Dass das Spiel Ende 2015 nach einer endlos wirkenden Early Access-Phase offiziell ‚fertig‘ gestellt wurde, ist da eigentlich eine Nebensache.

Aber ganz unter uns: So gern ich meinen altersschwachen Reflexen dabei zuschaue, wie sie auch ganz anders können… mein liebstes Spiel war es 2015 nicht. Was dann? Nun… Noch mal ich, im Rückblick auf 2014 und das Bedauern über die Zerfledderung des Diskurses in Zeiten von Early Access und so: „Ich kann nicht umhin, mir für 2015 gerade bei kleineren Spielen vor allem eines zu wünschen: einen Startschuss, der ordentlich RUMMS macht. Masseneuphorie. Der Donner von Hunderten entkorkter Champagnerflaschen.“ Ask, and you shall receive: Undertale. Die schamlose Hymne, die ich auf das Spiel weniger gesungen als freudentrunken gejohlt habe, wirkt im Rückblick komisch. Nicht wegen des bewusst entfesselten Superlativ-Überschusses des Artikels, sondern wegen der Befürchtung, das Spiel könne nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die es verdient. Es war die erste Woche! Was wusste ich schon?! Mittlerweile weiss ich: Toby Fox ist mehrfacher Millionär, und Undertale offiziell DAS BESTE. SPIEL. ALLER. ZEITEN.

Die hinter diesem Link diskutierte Farce ist im Übrigen vielleicht die ultimative Undertale-Story: Fans, die das Spiel in einem bekannten Popularitätscontest absurderweise zum besten aller Zeiten wählen und damit die ungewöhnliche Leidenschaft demonstrieren, die dieses Spiel hervorbringen kann. Ihnen stehen die gefletschten Zähne der Gestalten gegenüber, die mit Verschwörungstheorien reagieren auf die für sie unbegreifliche Vorstellung, dass ein ohne jeden Hype ins Leben getretenes Spiel von so vielen Menschen ohne Hintergedanken geliebt werden kann -- noch dazu eines, das einsteht für so altbackene Werte wie Anständigkeit und Empathie. Undertale ist insofern vielleicht einfach auch zum richtigen Zeitpunkt gekommen: Nach einem Jahr, das alles offenlegte, was in der Game-Kultur bedauernswert ist, kam ein Spiel, das mir wieder zeigte, warum mir dieses Medium so am Herzen liegen kann. Das soll nicht heißen, dass der Verdienst von Undertale einzig darin liegt, dass es zur rechten Zeit am rechten Ort war. Es wird, prophezeie ich einmal, als ein zu jedem Zeitpunkt außergewöhnlich intelligentes, komplettes, unterhaltsames, innovatives und warmherziges Spiel bestehen bleiben. In diesem einen Jahr, für dieses eine Leben aber war es darüberhinaus, wie ich auch bereits andernorts schamlos von einer Jonathan Franzen-Rezension abgekupfert habe: Ein Wunder, und kein geringes.

Rainer: Tief einatmen, Christof. Und ausatmen. Und einatmen.

Joe: Ob Toby Fox auch überlegt hat ein Kind zu Recherchezwecken zu adoptieren?

Christof: ICH BIN NOCH LANGE NICHT FERTIG. Oder nein, stimmt nicht, ich bin fertig. Fix und fertig. Darum zum Abschluss eine letzte Frage: Wenn ihr nur eine ...kulturelle Sache empfehlen könntet, die ihr in 2015 entdeckt habt und die nicht aus der Spieleblase im engen Sinn stammt -- was wäre es?

Rainer: Lesen! “Animal Money” von Michael Cisco ist der heiße Scheiß. Halluzinogene Literatur. Das Cover verspricht nicht zu viel. Wird auch garantiert nie verfilmt, der Hipster-Bonus sollte noch mindestens fünf Jahre halten, denke ich.

Christof: Die Cartoon Network-Miniserie Over The Garden Wall von 2014: Inspiriert von klassischen Illustrationen, mit blutunterlaufenen Augen gelesenen Grimm-Märchen, belegt mit dem Staub jeder zünftigen Straßenkreuzung der südlichen USA, an der man dem Teufel seine Seele verkaufen kann. Mehr und dichteres Worldbuilding in 10x12 Minuten geht nicht.

Joe: Adventure Time wird auch immer besser, aber das kenn ich nicht erst seit 2015. Dann vielleicht Netrunner, das komplizierteste Kartenspiel der Welt, oder gleich die wunderbare Welt der Brettspiele im allgemeinen. Wenn sich das verbreitet, find ich vielleicht endlich mehr Leute dafür.

Robert: Nachdem ich zwar sehr neugierig bin und zum Beispiel gerne viel mehr lesen würde, als ich es dann aus Zeitgründen tatsächlich tue, bin ich neben Leben, Arbeit, Spiel und Spaß immer auf der Suche nach super TV-Serien, die irgendwie Computer(spiel)kultur verhandeln. Diesbezüglich ist Halt and Catch Fire ein großartiger Fund. Eine erfolgreiche Serie, was insofern absurd ist, weil es in den frühen 80ern spielt und die Frühzeit der Personal-Computer-Entwicklung verhandelt - also kein gerade zugängliches Thema, auf den ersten Blick. Gleich in der zweiten Folge wird reverse engineert, usw. Good stuff. Man muss sich jede Folge doppelt ansehen um alles richtig mitzubekommen.

Christof: Klingt alles toll. Ich glaube, 2016 wird das Jahr, an dem Video Game Tourism offiziell in TV and Literature and Kartenspiel Tourism umbenannt werden wird… oder auch nicht. Wer kann schon sagen, was jenseits des Punschrausches auf uns wartet? In diesem Sinne: Frohe Feiertage, und ein gutes neues Jahr.

Autor: