Agata: Inwieweit habt ihr euch denn mit Yorda identifiziert?
Rainer: Interessante Frage. Sie ist - mechanisch betrachtet - sicher die weltweit gelungenste Eskortmission, weil man sich emotional an sie bindet, wie Robert sagt. Die bloße Geste des Handhaltens macht es so intim, dass man sich schnell als Einheit sieht. Das ist eine große Leistung des Spiels: mit kleinen Gesten große, stille Emotionen auszulösen. Laute Emotionen sind ja viel einfacher. Ich habe mich dann tatsächlich als Paar gesehen, sie war kein “Sidekick”, kein Munitionslieferant wie Elizabeth in “Bioshock Infinite”. Oh Gott, “Infinite”. Wieso hat sich Ken Levine da nicht an ICO inspiriert. Shame..
Robert: Habe mir noch gar nicht überlegt, inwiefern ich mich mit Yorda identifiziere. Ich glaube, die beiden Figuren tatsächlich mehr als Einheit wahrzunehmen. Sich mit Ico mehr im klassischen Sinn zu identifizieren, ist, glaube ich, nicht zu verhindern, weil man ihn steuert. Aber Yorda ist auch nicht ganz passiv, sie gibt manchmal Hinweise, spricht und macht eben nicht immer genau das, was man von ihr will. Wie Rainer schon meinte: Sie ist alles andere als der typische Sidekick.
Christof: Ich weiß nicht, ob “identifizieren” das richtige Wort ist, aber ich finde Yorda definitiv die interessantere Figur. Nicht nur, weil sie -- vielleicht allerdings nur als Chiffre -- eigentlich eine wichtigere Bedeutung für die Handlung hat als Ico, sondern auch, weil dieses “Eigenleben”, von dem Robert gesprochen hat, so eindrücklich umgesetzt ist. Das ist quasi die Gegenthese zum “schlecht” altern: ich konnte kaum fassen, wie fantastisch die Animationen in diesem Spiel sind, und wie kleine Dinge, die vermutlich in vielen Spielen als Fehler weggeglättet würden, hier helfen, die Figuren zu zeichnen. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob es ein Wegfindungsproblem ist, dass Yorda manchmal zögert, Ico zu folgen oder sich neben ihn auf die Bank zu setzen. Aber es macht -- nicht weniger als ihr sicher gewolltes Kopfschütteln beim verlangten Sprung über zu weite Distanzen -- die Figur lebensechter als die meisten, die vorher oder nachher kamen.
Eigentlich frage ich mich hier lieber, wie es kommt, dass diese spezifische Art der Animation der kleinen Gesten kaum weiterverfolgt wurde in den vierzehn Jahren seither. (Wie übrigens auch der Hund im Fallout 4-Trailer absolut wie ein totes Automaton wirkt, was nur noch augenfälliger wird, wenn man daneben das Pferd in Shadow of The Colossus oder das… Vieh in The Last Guardian sieht. Man hat das Gefühl, dass Team Ico Menschen und Tieren zusieht, bevor sie animieren. Echten Menschen und echten Tieren.)
Rainer: Oh! Aber sie wurde weiterverfolgt, zumindest im Spezialfall! Diese Liebe zum Detail hat sicher auch Miyazaki geprägt. Ich verweise auf die Puppe im Hunter’s Dream in Bloodborne, die sogar auf Gesten des Spielers reagiert. Mit der interagiert man hunderte, tausende Male, und bemerkt es unter Umständen nicht. Ein schönes Beispiel für Liebe zum Detail.