Postkarte von Agata: Sommerlicher Einspruch

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Agata Góralczyk ist als Langzeitreisende in virtuellen Welten unterwegs. Einmal im Monat schickt sie uns eine Postkarte - diesmal aus Phoenix Wright - Ace Attorney: Justice for All.

21. Juni, 10:00 Uhr Bezirksgericht Angeklagtenzimmer Nr. 2`

Mein Name ist Phoenix Wright und ich bin Ihr Strafverteidiger. Ich werde für Sie kämpfen und ich werde Ihre Unschuld beweisen. Das beruhigt Sie? Gut. Aber machen Sie sich nichts vor. Ich werde Sie vor dem Scheinwerferlicht nicht beschützen. Lüge und Wahrheit werden hier im Gerichtssaal wie auf dem Seziertisch zu liegen kommen, wie auch die Verstrickungen Ihrer Vergangenheit. Ihr Schicksal wird sich hier entscheiden. Ich bin Ihr Verteidiger, nicht Ihr Beschützer.

`Das Gericht verhandelt nun den Fall von Maggey Byrde. Sind Staatsanwaltschaft und Verteidigung bereit?`

Die Anklage legt gleich los. Sie wird ihren ersten Zeugen aufrufen. Er wird getrieben sein von dem Verlangen, sich endlich von den Erinnerungen an ihre Schuld befreien zu können. Dabei wird er gnadenlos sein. Das ist seine Rolle in diesem Drama. Er kann nicht anders. Aber, keine Sorge. Mein Job ist es, Fehler zu finden. Fehler in der Logik, Fehler in seinen Erinnerungen. Jedes Wort einzeln prüfen, Einspruch erheben, jeden Widerspruch ans Licht zerren. Schlag um Schlag mit der Anklage das Gewirr der Aussagen zerpflücken, bis die Wirklichkeit aus den Erinnerungen des Zeugen wie ein Kartenhaus zusammenbricht.
 
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`...? Waaas, waaarum fragen Sie mich plötzlich danach...? Aaaaaaaah! Ddd-Das. Uuughn! Neeeeeeeeeein!`

Sehen Sie's? Da zerschellt gerade ein EGO unter der Wucht meiner Fragen. Sie kommen alle hier in den Zeugenstand, weil sie ein Jemand in diesem Theaterstadl des Lebens sein wollen: Lügner, Narzissten, Mörder und Verzweifelte. Aber mein Job ist es, die Blockaden ihrer Psyche aufzubrechen und sie in ihrer Nacktheit zur Schau zu stellen. Wie ich schon sagte: Es geht immer um Schicksale, um die Verwicklungen und Vertuschungen eines Menschenlebens.

`Vierzehn Menschen starben bei diesem Unfall und auch das Leben ihrer Schwester wurde ausgelöscht. Es war zu viel. Eine zu große Last, um mit ihr weiter zu leben. Der Unfall war ihre letzte Chance, ihre Vergangenheit fortzuwerfen und ein neues Leben anzufangen.`

Wir Anwälte sind wie diese Tiere, die nach Einbruch der Dunkelheit im Müll rumwühlen. Wir könnten uns auch als Anthropologen bezeichnen. Das wäre aber ein Euphemismus, der von unserer wirklichen Tätigkeit ablenkte. Wir kramen in dem Weggeworfenen und für überflüssig Erachteten: den ständigen Krisen des Privaten, den kleinen Tragödien des Alltags. Lange und aufmerksam hören wir zu. Wir fragen und fragen bis wir den letzten Fund aus dem Müllhaufen gezerrt und recycelt haben.
 
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Sie glauben doch nicht wirklich, ich würde mir die Hände mit einem Mord schmutzig machen, oder? Skandale sind ein bisschen lästig, nicht wahr? Aber das Einzige was für mich zählt, ist, dass er endlich tot ist. Man könnte also sagen, ich hätte "die Gunst der Stunde genutzt". Menschen sind dazu da benutzt und weggeworfen zu werden.`

Ans Licht gezerrt kommt mit den Funden auch die Verzweiflung, die ganzen verschütteten Gefühle: Wut und Zorn, Rache und Stolz, Angst und Trauer, Macht und Schuld. Lüge und Wahrheit, Vergangenheit und Schicksal. Verstehen Sie das nicht falsch. Wir Anwälte sind keine Psychologen: Wir fangen niemanden auf. Wir sind auch keine Priester: Wir erteilen niemandem die Absolution. Wir stehen für eine ewige Illusion des Menschen: Den Wunsch, dass einem endlich Gerechtigkeit widerfahren möge.

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