"It's just a game": Ivor Scott - Counter-Strike in Öl

Gastautor Jan-Christoph Keßler hat für uns die Ausstellung "It's just a game" des Medienkünstlers Ivor Scott in Hamburg besucht.

Terrorists win". Verzerrt bis zur Unkenntlichkeit bleibt von der Botschaft nicht mehr als weißes Rauschen. Der nackte Beton wirft das lärmende Echo vom Vorraum durch den langen Flur, an der Theke vorbei bis in das Hinterzimmer. "Es ist nur verlangsamt, das erzeugt diesen unheimlichen Sound", erklärt Ivor Scott das Counter-Strike-Zitat. Seine Kunst-Ausstellung "It's just a game" fand im Hinterconti im Hamburger Karoviertel statt. Er brachte fünf Aquarelle, vier große Leinwände mit Ölmalereien und ein Video mit.

<--break->Ivor Scott ist ein herzlicher Mensch, lacht viel und laut. Seine Freude donnert regelrecht durch die kahlen Räume. Damit überspielt er nicht seine Nervosität, schließlich zeigt die sich im Zungeschnalzen, wenn er nach dem nächsten Gedanken ringt. Trotzdem schaut er den Besuchern tief in die Augen, wenn er auf ihre Fragen antwortet und sucht den direkten Kontakt. "Ich muss den Leuten, die ahnungslos sind, was Videospiele angeht, natürlich mehr erklären. Ich versuche, sie langsam einzuführen", so zuvorkommend sei Scott zu Zockern aber nicht, "mit denen bin ich ein wenig ... energischer, weil die ja meine Sprache sprechen." Das Publikum ist für ihn Teil des schöpferischen Prozesses. Ihn beschäftigt die Frage, wie die Betrachter seine Werke erleben, welche Denkprozesse er anregt. "Ich möchte meine Ideen mit dem Publikum teilen", so Scott.

In leichten Wasserfarben hält Scott grausame Szenen fest: Soldaten, die würdelos über den Haufen geschossen wurden. Einer mit dem Gesicht im Kopfsteinpflaster, ein anderer blutbesudelt in der Ecke, eine Gruppe drapiert im morbiden Miteinander. Nach dem ersten Erschrecken setzt Scham ein: Es handelt sich um Szenen aus Counter-Strike, die man schon Millionen Mal genau so gesehen hat. Aber als Spieler blendet man die ausgeschaltete Figur aus, um sich dem nächsten Ziel zu widmen. Um keine Leistung an Nebensächlichkeiten zu verschwenden, lässt die Grafik-Engine die Toten kurz darauf einfach verschwinden. Scott gibt mit seiner Arbeit dem Vergänglichen Permanenz.

"Letztlich möchte ich, dass die Aquarelle ein Gefühl von Empathie für diese Charaktere wecken", schildert Scott seine Ziel für die Malereien. Er glaubt, dass diese Empathie Tür und Tor dafür öffnet, sich der Realität seiner Handlungen auch im virtuellen Raum bewusst zu werden. Mit Schaudern sieht er im Netz Videos, wo Leute eine lockere Konversation führen, während auf dem Bildschirm Gewalt und Brutalität zu sehen sind: "Es ist normalisiert. Es ist ein Spiel. It's just a game." Und daher rührt der Titel seiner Ausstellung.


Dabei ist Scott nicht jemand, der von außen reinschaut. Er erinnert sich, mit zehn Jahren angefangen zu haben mit Videospielen. Er ist mit Mario 64 groß geworden und hat seine Leidenschaft für Ego-Shooter mit Goldeneye entdeckt. "Und dann habe ich angefangen, Counter-Strike zu spielen. Ich war begeistert. Über die Jahre habe ich mir online eine erweiterte Familie aufgebaut", verrät er. Sein Weg zur Kunst war ein Glück im Unglück: Aufgrund einer Rückgratverkrümmung blieben ihm sportliche Aktivitäten in der High School verwehrt, weswegen er sich voll und ganz der Malerei widmen konnte. Sein weiterer Werdegang führte ihn aus der Heimat New Jersey nach Boston an die School of the Museum of Fine Arts, wo er seinen Bachelor machte.
 

 

"Im Kunstkontext kritisiert man oder man glorifiziert – und ich mache ein wenig von beidem"

"Im Kunstkontext kritisiert man oder man glorifiziert – und ich mache ein wenig von beidem", beschreibt Scott seinen Bezug zum Thema. Und er ist sich dieser Ambivalenz bewusst: "Ich glaube, dass diese Doppeldeutigkeit Teil des Lebens ist." Weiter noch ist er der Meinung, dass er davon profitiert, sich nicht für eine Seite zu entscheiden. Er glaubt, dass sich so sowohl ein Kunstpublikum als eben auch Zocker in seinen Werken wiederfinden können.


Das Herzstück seiner Ausstellung sind die Ölmalereien auf großen Leinwänden; er nennt sie "Glitch-Paintings". Sie bestimmen ein klarer Linienverlauf mit satten kräftigen Farben, während die Motive ziemliches Chaos zeigen: Scott bildet mit ihnen ab, was passiert, wenn man das Geschehen aus einem Winkel betrachtet, den das Spiel eigentlich nicht vorgesehen hat. Seinen Anfang fand er mit Call of Duty und der Karte Nuketown: "Ich hatte einen Screenshot, der zerstört war: die Farben bluteten und ich war fasziniert von den visuellen Verzerrungen." Ihm gefiel an diesem Motiv das Fehlen von Spielfiguren, während das Gefühl von Gefahr erhalten blieb. Er beschäftigte sich mit Strukturen und der Geometrie der Level; spürt dort den Einfluss seines Vaters, der Architekt ist. Scott gesteht aber zu, dass die Abwesenheit von Personen einen weiteren Grund hat: "Ich hatte Angst, tote Körper darzustellen."


Drei Jahre später fühlt er sich in seiner kreativen Vision gefestigt. Wie im Schlaf betet er die Tastaturbefehle herunter, die nötig sind, um störende Bildschirmelemente wie die Lebensanzeige, Munition oder Karte zu entfernen und begibt sich auf die Jagd nach dem nächsten Screenshot für seine Arbeit: "Heutzutage weiß ich, unter welchen Steinen ich gucken muss. (lacht)" Im Fokus der Ölmalereien stehen die bizarren Gesichter der Spielfiguren: Man sieht durch den fehlenden Mund hinweg auf den Augapfel oder das Antlitz ist eingerahmt von defekten Elementen des Levels. "Mir gefällt, dass es da gleichzeitig Ambivalenz und Vertrautheit gibt. Es ist fast wie diese Idee vom Erhabenen." Er meint, dass diese Bilder für ihn am besten Videospiel-Kultur und Kunst miteinander verbinden.

Das interessanteste Stück ist "A gamer’s odd attunement toward the game": Dunkle Farben bilden den Hintergrund, während deformierte Pflanzen den Oberkörper der Figur einrahmen. Ihr Hals ist leicht überdehnt; die Augen halb geschlossen, sie wirken müde. Das Motiv fasziniert, erinnert auf eine befremdliche Art an Darstellungen der Kreuzigung Jesus Christus'. Aber das ist nur Zufall: "Das ist mir im Nachhinein aufgefallen. Ich hatte die Möglichkeit, es entweder horizontal oder vertikal aufzustellen. Ich entschied mich für die vertikal Variante, weil ich wollte, dass der Betrachter unmittelbar das Gesicht und damit die Person erkennt."


Abseits des stechenden Lichts der Neonröhren in den Ausstellungräumen befindet sich eine dunkle Kammer, in der Scott ein weiteres Exponat präsentiert: ein Video. Es zeigt im geteilten Bildschirm zwei Perspektiven auf dasselbe Ereignis: die Ausschreitungen in Ferguson, Missouri. Dort kam es zu Demonstrationen, nachdem ein Afroamerikaner bei einer Kontrolle durch einen Polizisten mit sechs Kugeln erschossen wurde. Der Protest war groß, der Polizeiaufmarsch noch größer: Die Staatsgewalt ging mit aller Macht vor. Scotts Video ist ein Zusammenschnitt von Livestreams aus der Perspektive der Demonstranten und der Polizei. Mittendrin sieht man, wie sich ein Fenster öffnet und Ivor Scott auf Twitter das Geschehen kommentiert. "Die Arbeit spricht über das Verlangen, am Strom der Informationen teilzuhaben, aber auch über die Möglichkeit, in seiner eigenen Stadt oder Land Geisel zu sein", erklärt der Künstler seine Intention.

 

Aber auch wenn er die Härte des Durchgreifens für unverhältnismäßig und vermeidbar hält, greift er nicht das konstitutionelle Recht auf das Tragen einer Waffe an. Feixend unterstreicht er: "Ich befürworte nicht, dass einfach alle Waffen weggenommen werden, weil ich nicht notwendigerweise 100-prozentiges Vertrauen in die Regierung habe. (lacht) Also braucht man das Recht, sich verteidigen zu dürfen." Trotzdem hält er die Militarisierung der Polizei für erwiesen. In diesem Zusammenhang spricht er einem Spiel wie Battlefield – Hardline eine größere Relevanz zu, als man denken möchte: "Ich finde es interessant, dass es diese binäre Entscheidung geben muss. Natürlich gibt es die Guten und die Bösen – aber wer ist wer?" 

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