Spiel des Monats: Notizen des blutigen Anfängers
Die Souls-Reihe und Bloodborne als ihr inoffizieller Nachfolger brechen mit dieser Konvention, weil die Designer dieser Spiele sie offenbar als Paradoxon empfinden, das es zu überwinden gilt. Das Geheimnisvolle ließe sich nicht durch klare Kommunikation mit dem/der Spielenden und einem cleanen User Interface vereinen, stattdessen würde es dadurch geschwächt. Die Immersion und ein uneingeschränktes Eintauchen wären dahin. Das Hinterfragen des vom Game-Studies-Altmeister Jesper Juul gerne analysierten Bruchs einer ansonsten stringenten Spielewelt durch Menüs, blinkende Pfeile und leuchtende Gegenstände ist ein wichtiger Grundpfeiler von Souls-Spielen und Bloodborne.
Verdammt, sagen sich die Designer, wir kommen ohne diese ewige, alte Grammatik von Waffen, Rüstungen und Kampfutensilien mit ihren dazugehörigen Zahlen und Statistiken nicht aus. Also unterwandern wir sie immerhin, so gut es geht. So wird das Interface, werden die Gegenstände im Spiel zu ebenso unberechenbaren Wesen wie die Monster, gegen die wir antreten. Ich bin rund ein Dutzend Tode am allerersten Wolf gestorben, weil ich nicht wusste, wie ich meine Waffen anlege (die erste Vermutung war, ich wäre von meinen Charakterwerten noch nicht dazu bereit) und habe deshalb zu lange mit bloßen Händen gekämpft. Dass meine schließlich angelegten Waffen sich nach einiger Zeit abnutzen und ineffizienter werden, hat sich mir ebenfalls erst spät erschlossen. Soll ich sie nun verkaufen und wieder zurückkaufen? Verkaufen gerne, aber zurückkaufen geht nicht. Als mir diese Erkenntnis immer bewusster wird, öffnet sich in der Traumwelt (dem einzigen sicheren Ort in Bloodborne, der dem Aufrüsten der Figur dient) eine Tür zu einem bis davor verschlossenen Raum. Nun stehe ich darin, vor dem frisch entdeckten Workshop, an dem ich mein Schwert reparieren hätte können, das ich nun aber nicht mehr haben kann. Ich starte das ganze Spiel neu.
Der Wolf war also mein erster Gegner, das perfide Interface mein zweiter. Auch, wenn ich diese Tücken nun kenne, bleibt die Unberechenbarkeit der Gegenstände, die ich im weiteren Spielverlauf finden werde. Nutzen sie mir oder behindern sie mich eher? Ist etwas besonders wertvoll, das aber irreführenderweise im Verkauf wenig einbringt? Ausschließen kann man nichts. In einer seltsamen Konsequenz zieht sich die harsche Welt von Bloodborne in jede digitale Faser des Spiels, auch ins Interface. Das nicht akzeptieren zu wollen, es als arroganten Mittelfinger der Entwickler wahrzunehmen, für den ihnen in jedem "Game Design 101"-Kurs der Vogel gezeigt würde, ist allzu nachvollziehbar. Wofür haben wir denn diese Regeln, diese über die Jahre aufgebauten Konventionen, was in einem Spiel scheiße, sperrig, unfair und sinnlos ist? Warum soll ich meine Zeit mit einem Game verschwenden, das einfach darauf pfeift?
Aber dann ist eben auch die Sache mit der Anziehungskraft von gebrochenen Regeln. Die Souls-Spiele und Bloodborne nähren sich wunderbar daran und sind in ihrer Dreistigkeit in einer bemerkenswerten Weise subversiv - noch dazu in einem Blockbuster-Game und nicht in einem skurrilen Indie-Titel. Eine Waffe, die ich verkaufen kann, aber nicht wieder zurück bekomme und damit keine Chance habe, im Spiel weiterzukommen? Eine Steuerung, deren Funktionsweise mir zwar teilweise vermittelt wird, aber die nicht mal ansatzweise in einem wie auch immer gearteten Tutorial zum Einsatz kommt? Es sind Transgressionen, die wir nicht länger akzeptieren wollen, weil ihr Verzicht darauf synonym ist für das Wachsen des Mediums, weil er für das Besserwerden, das professioneller Werden steht. Verblüffend, dass dabei unters Licht gefallen scheint, wie durch die immer zahlreicher werdenden Tabus zeitgenössische Spiele mitunter etwas zahnlos geworden sind. Keiner muss irgendein Spiel spielen, wenn man es doof findet. Aber irgendwas ist wohl an diesem seltsamen Titel dran. Oder?
Ich wage mich an Bloodborne heran, ohne je einen der Vorgängerteile auch nur angespielt zu haben. Darüber hinaus: Onimusha, Dynasty Warriors, Bayonetta, Devil May Cry und wie sie alle heißen. Ich habe sie nicht oder nur ansatzweise gespielt und bin dementsprechend unerfahren. Doch Bloodborne sei anders, sagt man mir und lese ich. Es sei "hart", aber eben nicht nur. Man würde sich jeden Schritt in dieser Welt gut überlegen, Geduld lernen, viel aufmerksamer sein als in anderen Spielen, sich alles so gut einprägen. Vor allem aber würde man unglaublich beseelt sein, wenn sich nach all dem Aufwand, dem Leid und der Frustration endlich der Erfolg einstellt, wenn man einen der Bosse besiegt hat und den lange ersehnten neuen Speicherpunkt bekommt. Mich wundert es selbst, dass ich mit dieser doch nicht so unüblichen Eigenschaftsbeschreibung eines schweren Computerspiels mittlerweile mehr Probleme habe als mit dem Unterwandern der Verlässlichkeit des Bloodborne-Interfaces. Klar: Spiele, an denen wir uns die Zähne ausbeißen, bleiben besser im Gedächtnis. Wir können danach mehr lustige, verzweifelte, unverhoffte Geschichten über sie erzählen, als bei Super-Mario-Endgegnern, denen wir drei Mal schnell auf den Schädel hüpfen, bis sie wieder in der Lava verschwinden, aus der sie gekommen sind. Doch ein Spiel, das mich mit seinem hohen Schwierigkeitsgrad anbrüllt und mich mit zähen, repetitiven Aufgaben quält, ohne mir Alternativen zu bieten, ernüchtert mich mehr als dass es mich motiviert. Ich erinnere mich an mein begonnenes Informatikstudium, oder besser gesagt: das eine Monat, in dem ich versucht habe, fortgeschrittene Mathematik zu lernen. In den Übungslehrveranstaltungen saßen Leute, die das bereits mehrere Semester über lang machten, in der Hoffnung, dass ihnen irgendwann "der Knopf aufgeht". Dafür war mir nicht nur meine Zeit zu schade. Der Gedanke, dass der Knopf trotz aller Hoffnung zubleiben könnte, war schlicht und einfach zu trostlos. Ich habe das Studium gewechselt und nicht wieder zurückgeschaut.
Eines stimmt aber: Ich präge mir nach sehr vielen Anläufen die Spielwelt von Bloodborne (bzw. den ersten Abschnitt) gut ein, weiß nun, wo ein Hinterhalt ist und wann die Bluthunde auf mich zulaufen. Der dicke Grunzer mit dem Ziegelstein ist nach dem zwanzigsten Mal kein so furchteinflößender Gegner mehr, dem man zitternd zwei Molotov-Cocktails auf die Brust werfen muss. Doch die Vertrautheit der Gegner löst meine Angst und meine Beklommenheit vor ihnen nicht, die sich mit der größer werdenden Sorge vor dem ultimativen Versagen paart. Die gruselig flüssigen Animationen der Monster und ihre Unberechenbarkeit, ihr Alternieren zwischen unbeholfenem Herumtapsen und pfeilschnellen Sprungattacken löst weiterhin Unruhe in mir aus - auch wenn ich weiß, wie ich mich den Wesen gegenüber grundsätzlich verhalten muss. Beim ersten Endgegner, dem Cleric Beast, das ich erst entdecke, nachdem ich mich vorher ausgiebig verlaufen hatte, kommt noch die Größe und die bizarre Geräuschkulisse hinzu. Ich versuche, geistesgegenwärtig zu bleiben und mir die Angriffsweisen des Biests einzuprägen - doch ich mache nur langsame Fortschritte. Irgendwann finde ich eine Abkürzung vom Speicherpunkt direkt zu dem Vieh: eine kleine Erleichterung. Ich übe weiter, sammle ausgiebig Ausrüstungsgegenstände - vor allem Heiltränke und Molotov-Cocktails. Schließlich stecke die Kopfhörer aus und spiele zunächst mit erhellender Musik im Hintergrund, später komplett ohne Ton. Nach mehreren Tutorials und einer zunehmenden Abstraktion der audiovisuellen Präsentation verliert sich die Ehrfurcht. Ich laufe ohne überanalysierende Konzentration auf das Cleric Beast zu und schlage einfach auf die Beine ein, rolle mich ab, schlage weiter. Ein paar Molotov-Cocktails zum Schluss, das Vieh geht zu Boden. Es folgen der verdiente Jubel und das Glücksgefühl.
Doch der Preis dafür war zu groß, denn das, was mir Bloodborne für diesen hohen Aufwand ultimativ bietet, ist zu wenig. Nach dem Kampf kommt erst mal nichts Neues, ich sitze weiterhin in dem alten Level fest, durch das ich schon so oft gelaufen bin. Zwischendurch muss ich immer wieder an Gothic 2 denken, das für die damaligen Verhältnisse eine riesige Welt bot, von den Entwicklern von Hand gestaltet: einprägsam und voller unheilvoller Überraschungen. In Gothic kann man überall hinlaufen, zu jeder Zeit, und - wenn man es darauf anlegt - von übermächtigen Gegnern mit einem Schlag ins digitale Ableben geknüppelt werden. Speichern geht zwar immer, doch auch hier weiß man nicht, was einen erwartet. Wird man an den Rand gedrängt? Von massenhaft Viechern überrumpelt? Gibt es aus dem Dungeon kein Entkommen? Oft nützt Speichern in Gothic nichts, weil man so oder so gefangen ist.
Bloodbornes archaische, obskure Welt funktioniert, doch sie ist für mich verhältnismäßig eindimensional, zu geradlinig und mit zu wenig Möglichkeiten zur Ablenkung ausgestattet. Sie ist nicht groß genug, als dass ich mich in ihr so zerstreuen könnte, um die Enttäuschungen und den Erfolgsdruck zu vergessen, die mir ein übermächtiger Gegner beschert. Hier werde ich immer wieder und mit nur wenig Alternativen mit denselben Wesen und Frustrationen konfrontiert. Sicher, irgendwann wird es besser. Aber freue ich mich dann mehr über die Erleichterung, mich endlich einigermaßen frei und kompetent in dieser Umgebung bewegen zu können oder über eine tatsächlich reichhaltige und interessante Welt? Irgendwann bleibt alles im Gedächtnis, wenn man es nur lange und konsequent genug in einen rein hämmert. Bloodborne und Co zu spielen ist aber nicht das Äquivalent vieler Reisen in die Lieblingsstadt, um die dortige Landessprache zu erlernen. Es ist das stupide Auswendiglernen von Vokabeln und Phrasen, damit ich die Abschlussarbeit schaffe.
Die Bilder stammen vom famosen US-Künstler Travis Louie.