Spiel des Monats: Ich traf Fumito Ueda und ich fand ihn nett
Sony wollte mit der in die Jahre gekommenen Playstation 2 in den Jahren 2005 und 2006 noch einmal alles rausholen. Fumito Ueda war zwar mit ICO ein paar Jahre davor kommerziell gescheitert, doch schon damals war klar ersichtlich, dass das Game ein Prestigeprojekt war und bleibenden Eindruck hinterlassen wird. Es war eine kluge Entscheidung, einen inoffiziellen Nachfolger an den Start zu schicken. Das war mir bewusst, und dennoch war ich ziemlich verblüfft, wie aufwendig Shadow of the Colossus Ende 2005 angepriesen wurde. Schnöde Pressemeldungen und Präsentation auf Spielemessen waren nichts im Vergleich zu dem, was im November anstand: eine Pressereise ins Umland von Frankfurt, zur Burg Ronneburg.
Es macht Sinn: Physische mittelalterliche Gemäuer sind in unserer Gegenwart ebenso aus der Zeit gerissen wie die virtuellen für die Protagonisten von Uedas Spielen. Man kann nur erahnen, was in diesen heute oft befremdlich anmutenden Räumen vor einigen hundert Jahren so passiert ist. PR-Menschen haben allerdings wenig übrig für kontemplative Momente und das Philosophieren. Die Mystik alter Gemäuer ist ganz nett, vordergründig wichtig ist aber, dass ein Gebäude, ein Raum als Kulisse gut funktioniert und der Tag gut durchgeplant ist.
Vielleicht war es ja sogar der Wunsch von Fumito Ueda und Producer Kenji Kaido selbst, dass sie mal nach Europa reisen und vor Ort Recherche betreiben. Ein Presseabend auf einer Burg ist ja doch etwas anderes als in einem beklemmend wirkenden Messekämmerchen ein oberflächliches Interview nach dem anderen abliefern zu müssen. Ueda und Kaido präsentierten Shadow of the Colossus in der Burg zunächst als Vortrag, anschließend gab es Interviews, die - wie leider oft bei japanischen Gamedesigner/innen - zwar Information abwarfen, aber keine wirkliche Gesprächsdynamik aufkommen ließen. Manchmal hat man den Eindruck, dass die Übersetzer/innen von den oft schüchtern wirkenden japanischen Entwickler/innen als Schild genutzt werden, damit nur ja keine zwischenmenschlich-kulturellen Befremdlichkeiten aufkommen, bei denen dann nur Peinlichkeit übrig bliebe. Das ist verständlich, aber natürlich auch schade.
Meine Erinnerung an Fumito Ueda ist dementsprechend vage. Um ehrlich zu sein, kann ich mich an überhaupt keinen konkreten Moment der Interviewsituation erinnern. Die Interviews sollten damals wohl möglichst schnell abgewickelt werden, damit das umfangreich inszenierte Abendessen beginnen konnte. Oder sollte ich besser schreiben: die Abendessenzeremonie. Denn es wurde ein archaisch-mittelalterliches Mahl serviert, wo selbst die Esswerkzeuge an Burgzeiten von vergangenen Zeiten angelehnt waren. Es war eine Art LARPen für Anfänger/innen.
Ich muss immer wieder an diese Pressereise in der Burg Ronneburg denken, weil es in meiner bisher 13-jährigen Journalistenkarriere das einzige Mal war, dass der marktschreierische Pomp der Games-PR in einer ziemlichen Intensität auf ein komplett unkonventionelles Spiel ohne bekannten Namen gestoßen ist. ICO und Shadow of the Colossus waren Experimente, das Ausloten von neue Zugängen für digitale Spiele per se.
Der Mut, solche Projekte in einem so großen Umfang zu finanzieren, hat im Laufe der letzten Jahre eher abgenommen als zugenommen. Der Backlash reaktionärer "Gamer" in den letzten Monaten ist - trotz des starken Kampfs, der dagegen geführt wird -, an den Konzernen nicht spurlos vorübergegangen. Die Masse bekommt nun umso mehr, was sie will, was sie kauft, was sie verdient. Der Markt will es so. Der erkämpfte, mittlerweile etablierte Bereich der Indie-Games ist zwar einerseits ein neuer, kreativer Tummelplatz, andererseits auch ein Refugium, in dem sich all jene niederlassen sollen, die sich an die Triple-A-Regeln nicht halten können oder wollen. Fumito Ueda benötigt all die Jahre, bis The Last Guardian dann endlich (hoffentlich) erscheint, wohl nicht nur dafür, um das Spiel an sich fertig zu stellen. Sondern er muss sich vermutlich ein letztes Mal diesen großen Raum innerhalb eines Games-Konzerns erkämpfen, der Projekten wie The Last Guardian und seinen Vorgängertiteln eigentlich zusteht.
Zumindest alle paar Jahre. Vielleicht war es Ende 2005 eines der letzte Male, wo der Games-Mainstream sich in diesem Ausmaß Experimenten gewidmet hat. Die erste Hälfte der 2000er Jahre war jene Zeit, als der explodierende Videospielmarkt noch nicht wusste, was Anderssein, Andersdenken und Experimentieren bedeutet und ob es nicht vielleicht prestigeträchtig und gewinnbringend gleichzeitig ist. Jetzt weiß er leider, dass es nicht der Fall ist. Ich werde die Kisten mit den alten Interviews später noch ausgraben. Ich will mich wieder daran erinnern können, was Fumito Ueda vor zehn Jahren gesagt hat.
FM4: Shadow of the Ronneburg (2005)