Die merkwürdige Welt der Xbox One

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Es war und ist ein seltsames Gefühl zwischen Neugierde, Scham, Euphorie, Ernüchterung und Befremdlichkeit. Seitdem ich als Redakteur und Journalist über Spiele schreibe und spreche, war es immer eine Selbstverständlichkeit, mir die aktuellen Konsolen privat zu kaufen - als Arbeitswerkzeug und als Zugeständnis zu einer vielfältigen Welt der digitalen Spielkultur. Die achte Konsolengeneration sollte hierbei keine Ausnahme sein, obwohl in den letzten Monaten schon ein deutlicher Trend weg von den alten Wohnzimmerspielgeräten hin zum PC- und mobilen Gaming erkennbar war. Aber gut, das waren die überholten Konsolen, die uns nicht mehr so interessiert haben. Jetzt sind ja die neuen da!

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Die persönliche als auch berufliche Tradition wurde also fortgeführt, dennoch machte sich eben schon Wochen und Tage vor dem Veröffentlichungsdatum dieses ambivalente Gefühl breit. Das Hauptproblem dabei war, dass es eigentlich keinen wirklichen Grund gab, sich eine PlayStation 4 oder Xbox One am Tag 1 zu kaufen. Was sollte man denn damit spielen? Militärshooter und Sport interessieren mich nicht, der übliche Triple-A-Kram ist in den meisten Fällen sowieso Multiplattform (auch für die vorige Konsolengeneration) und die ungewöhnlicheren Titel kommen erst 2014. Na gut, aber irgendwas wird man mit den Geräten ja wohl anfangen können. Außerdem, neue Hardware. Wahnsinn, bitte!

Am frühen Vormittag stehe ich sodann vor dem Unterhaltungselektronikgroßmarkt der Wahl, in der Gewissheit, dass ich an diesem Tag einer der ersten Personen sein werden würde, die den Laden betreten. Leider bin ich der schlechteste Launch-Liner der Welt: Kurz vor 10 wollte ich mich anstellen, dabei hatten die schon seit 9 Uhr geöffnet. Egal, trotzdem rein. In der Spieleabteilung steht ein junger Verkaufsmitarbeiter neben einer beinahe leergeräumten Europalette. Ich: "Bewachst du die Xbox Ones?" - Er: "Ja, weil die Leute rennen hier her und reißen alles mit." Das bewachte Überbleibsel nach einer Stunde Verkauf: vier von ursprünglich 40 Geräten, plus ein paar zusätzliche Controller. Das Call of Duty: Ghosts-Bundle bleibt stehen, ich wähle die "plain and simple"-Variante.

Wie zimperlich und fragil können Spielkonsolen eigentlich noch werden?

Ich weiß immer noch nicht, was ich mit dem Gerät gleich anstellen werde, aber bin mal zufrieden, dass das mit dem Kauf im Handel friktionsfrei geklappt hat. Vorbestellen gibt es bei mir nämlich grundsätzlich nicht. Wenn sie den Kram nicht im Laden haben, gebe ich denen eben erst später mein Geld. Zuhause angekommen, wird mal der Couchtisch geräumt und ausgepackt. Heutzutage dreht man in solchen Fällen ja immer seine Handykamera auf und erzählt, was man gerade so tut und sieht. Und warum auch nicht.

Das Auspacken bringt Erwartbares zu Tage: ein schon wieder recht großes Netzteil, der nun zur grundlegenden Peripherie gewordene, neue Kinect-Sensor, ein Gamecontroller und die Konsole selbst, die aussieht, wie ein teurer VHS-Rekorder aus den 80er Jahren. Konnte man die Xbox 360 noch wahlweise hochkant aufstellen oder flach auf den Boden oder ins Regal legen, will die One nur noch liegen. Unter dem Disc-Laufwerk klebt ein Sticker, auf dem steht: "Bewegen Sie die Konsole nicht, solange sich noch ein Datenträger im Laufwerk befindet." Wie zimperlich und fragil können Spielkonsolen eigentlich noch werden? Vorbei die Tage als man die handlichen Geräte der 80er und 90er Jahre samt dazugehöriger Steckmodule noch beherzt angreifen und bewegen konnte. Auch der Controller der Xbox One will wohl nicht zu viel malträtiert werden, obwohl er stabil und wertig wirkt. In Sachen Design sind aber nur minimale Iterationen zum 360er-Gamepad erkennbar. Die Daumenknubbel haben eine verbesserte Anti-Abrutschvorrichtung und die Trigger sind etwas wuchtiger. Ansonsten alles wie gehabt.

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Beim Aufstellen von Kinect dräut der Ärger von damals wieder hoch, dass es sich hier in der grundlegenden Intention um eine Technologie handelt, deren Macher/innen davon ausgehen, dass man viel Wohnraum hat bzw. zu haben hat. Einfach mal 1,5 bis 2 Meter Platz machen vor dem Fernseher, das ist selbstverständlich. Dahinter steht die große Couch, draußen geht durch die neuen, blitzblank geputzten, verglasten Balkontüren über den grünen Hügeln gerade die Sonne unter. So oder so ähnlich stellen die gut gekleideten Marketingmenschen sich das wohl vor. Ein weiteres Ärgernis der weiterhin stark US-zentrierten Xbox ist der Umstand, dass die One keinerlei analoge Ausgänge mehr besitzt. Ist es für mich als Projektor-Besitzer schon mühsam genug, den Kinect-Sensor mitsamt des Kabels mitten in den Raum stellen zu müssen, bin ich nun auch gezwungen, nochmal 50 Euro für einen Digital/Analog-Audiowandler samt dazugehöriger Kabel auszugeben, weil die gnädige Xbox One ja nur einen HDMI-Ausgang und einen weiteren digitalen Audioausgang besitzt. Dieses arrogante Selbstverständnis von Hersteller Microsoft, dass die und der Xbox-Besitzer/in gefälligst über Top-Notch-Wohnzimmerelektronik verfügen muss, um das Gerät vernünftig verkabeln und bedienen zu können, stößt mir stark auf. Ja, ich habe keine digitale Endstufe und keinen 250-Zoll-Ultra-Brightness-LED-Fernseher und will auch weder das eine noch das andere, vielen Dank auch.

Aber gut, mit der Audiowandler-Krücke - die natürlich auch gleich einen weiteren Platz in der Steckdosenleiste besetzt - klappt es nun sowohl visuell auch auch auditiv. Tatsächlich sieht die Bedienoberfläche, wie von der 360 gewohnt, gut aus. Die Initialisierung der Grundeinstellungen geht schnell von der Hand, das erste System-Update ist rasch erledigt, die auszuwählenden Hintergrundbilder sind hübsch, das Einloggen mit dem Xbox- bzw. Xbox 360-Account klappt problemlos.

Leider haben die smarten Designer übersehen, dass das Prinzip der App nicht in jedem digitalen Biotop Sinn macht.

Wie schon vielerorts geschrieben, positioniert Microsoft die One ja allgemein im Entertainment-Bereich. Games sind natürlich der Schwerpunkt, das Verkaufen bzw. digitale Verleihen von Musik und Filmen gehört aber ebenso dazu. Einigermaßen affig mutet mittlerweile das Imperativ der Fliesen an, die seit Windows 8 offenbar über alle Microsoft-Grafikoberflächen drüber müssen. Darüber hinaus ist nun jede Funktion eine eigene App, das gehört wohl zum Zeitgeist, oder so. Leider haben die smarten Designer übersehen, dass das Prinzip der App nicht in jedem digitalen Biotop Sinn macht. Warum sollte bei einem ohnehin so komplexen und teuren Rechenpferd, bei dem ein erheblicher Anteil der Entwicklungskosten in die Bediensoftware fließt und wo alles quasi zentral gesteuert wird, alles wieder künstlich in Apps zerstückelt werden? Wieso gibt es zum Beispiel nicht einfach die Funktion "Video", in der ich dann alle möglichen Dinge anwählen kann? Vor mir aus einen angepassten Internet Explorer. Aber nein, die Xbox One hat eine Machinima-App, eine Twitch-App, eine Skype-App, und so weiter. Manche davon sind gratis. Juhu, sehen wir uns ein paar StarCraft-Matches an! Ja, gerne. Aber vorher schön mal ein bisschen Geld ablegen, denn ohne Xbox Live Gold-Mitgliedschaft läuft bei der One absolut nichts. Bei der 360 war das noch etwas anders, auch Demos von Spielen konnte man damit laden. Davon ist jetzt, bei der so tollen, neuen Xbox nichts zu merken - zumindest nicht jetzt, in den ersten Tagen.

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A propos Xbox 360: Abwärtskompatibel ist die One nicht. Denn immerhin haben es mit einer völlig neuen Generation des Entertainment zu tun! Zwar können wir via Live sehen, was die Freunde mit ihren klapprigen, alten Konsolen gerade so treiben und vice versa. Damit hat es sich aber auch schon mit der generationsübergreifenden Freundschaft. Heißt also: Alle bisher digital erworbenen Games, die dem eigenen Xbox-Account zugewiesen sind (und natürlich auch die Disc-basierten Spiele), sind auf der One nicht benutzbar. Das Ausmisten des alten Geräts wird also nichts - außer, man kauft sich alles neu (so denn der Backkatalog mal wiederveröffentlicht wird) oder redet sich erfolgreich ein, dass man den alten Kram eh nicht mehr spielen möchte.

Ohne Xbox Live Gold Mitgliedschaft gibt es keinen Eintritt in diesen Club.

Was kann ich denn auf der One nun also spielen? Da wäre zum Beispiel mal eine Dead Rising 3 Limited Edition um 95 Euro. Oder Zoo Tycoon um 70 Euro. Von Indie-Games ist noch weit und breit keine Spur, und günstigere Titel gibt es quasi nicht. Verblüffenderweise bringt das Stöbern durch das noch sehr schmale Spieleangebot immerhin zwei Titel hervor, bei denen tatsächlich "kostenlos" dabei steht. Das eine ist ein Brawler namens Killer Instinct, das andere ein aggressiv beworbenes Fitnessprogramm, das mit hartem Training den Fettpölstern den Kampf ansagt, etc. - man kennt ja diese Rhetorik der hysterischen Körperstählfanatiker/innen. Doch leider, leider: Auch, wenn wir uns irre ins Zeug legen wollen würden, um uns ein Sixpack zu züchten - ohne Xbox Live Gold-Mitgliedschaft gibt es auch in diesen Club keinen Eintritt.

Es bleibt an dieser Stelle nur noch Galgenhumor und das Wissen darüber, dass all das hier eigentlich völlig unwichtig ist. Dennoch komme ich mir langsam vor, wie ein mutiger Kämpfer, der sich ein paar Stunden aus der kleinen Welt der Vernunft in jene der gut bezahlten Marktschreier und Euphorieexpertinnen hinaus gewagt hat um sich mal, so unvoreingenommen wie es geht, anzusehen, was hier so passiert. Ich wollte das ja nie, diese starke Trennung zwischen den "Großen" und den "Indies", das Geraune über die vermeintlich bösen, geschlossenen Konsolen und die angeblich so unglaublich freie Welt der PC-Spiel-Kreativität (oder umgekehrt). Videospielkultur ist im Idealfall ein fließender Übergang zwischen unterschiedlichen Welten, Zugängen und Voraussetzungen. Die Xbox One macht es einem aber wirklich schwer zu sagen: Ja, das ist ein würdevoller Teil einer kulturell reichhaltigen, kreativen Gemeinschaft. Momentan verspüre ich große Lust, das Teil einfach wieder zurückzugeben und die 500 Euro in etwas Wertvolleres zu investieren als diese eingebildete Imperialistenbox. Sie wird aber trotzdem mal stehen bleiben, sich nach ein paar Wochen hoffentlich ein bisschen zusammenreißen und sich vielleicht auch mal in geselliger Runde zwischen all den anderen alten und neuen digitalen Spielartefakten so integrieren, wie ich es mir wünschen würde. Eine kleine positive Überraschung gab es am Schluss des One-Launches für mich dann nämlich doch noch: Killer Instinct ist zwar einigermaßen doof, aber tatsächlich weitgehend frei spielbar. Ich buttonmashe leicht amüsiert einen antropomorphen, blauen Wolf ins K.O. und lasse danach die künstliche Intelligenz gegen sich selbst antreten und schaue zu. Auf ihre ganz eigene Weise ist die Xbox One möglicherweise doch unterhaltsam. Doch noch sind es ganz kleine Schritte.

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