The Games That Never Were: Minion Mob Mayhem

Stagnation, Aufgewärmtes, Sequels: Wer sagt, dass es bei Games nicht noch Platz für revolutionär Neues, für Unerwartetes, Abwegiges oder schlicht: das Unmögliche geben darf? The Games That Never Were ist ein Gedankenexperiment: Spiele, wie es sie nie gegeben hat und so auch wohl nicht geben wird. Diesmal erzählt uns Dan Heck von Pixeldiskurs von seinem Spiel, das so wohl nie sein wird.

„Wo kommen eigentlich all die kleinen Babys her?“ fragt mein hypothetisches Töchterchen. Ich sehe mich in ferner Zukunft zusammenzucken und innehalten, vor meinem 12k-Screen, die Augmented-Reality-Brille mit HUD-Erweiterung auf der Nase und die Hände in Motion-Handschuhen. Es gibt Fragen, die erwischen einen eiskalt. Vor allem dann, wenn sie aus Kindermund stammen und das dazugehörige Kind, aus seinem Mittagsschlaf erwacht, plötzlich im Büro vor Papas Daddelecke steht.

***

„Die Babys? Die… ähm…“ Auf dem immateriellen Schirm vernichtet ein Schwarm wenige Polygone großer Zerglinge  einen Trupp noch kleinerer Pixel-Orks.
„Ja, die grünen Baby-Männchen da!“ quietscht Töchterlein vergnügt, als ein überlebendes Monster von einer Salve Tibannaplasma-Schüsse aus E11-Blastern eines Sturmtruppen-Squads zerfetzt wird und sich die weiß gepanzerten Krieger schließlich gegen die Zerglinge wenden. Der Kriegsnebel verdichtet sich.
Ich atme durch. Diese Babys. Da meine ich den Gegnern jetzt nichts mehr entgegenzusetzen habe, muss ich mich sowieso wieder auf den Aufbauteil des Spiels konzentrieren und kann mit Töchterchen auf Ursachenforschung gehen.

Zum Glück bietet MMM als spaßige Bösewichte-Aufbau-Moba-Brawler-Mischung leicht verdauliche Antworten. In meiner Friede-Freude-Eierkuchen-Zukunft schert man sich einen feuchten Kehricht um Copyright Infringements, es waltet Synergie: Hier wird nicht auf Konsistenz, sondern auch Balancing geachtet. Wer glänzende Rüstungen und strahlende Hero*Innen sucht, findet höchstens rostige Schwerter oder pulsierende Laser. Denn hier dreschen sich Star Wars-Imperialisten, Nintendo-Minions, Command&Conquer-Aliens, Call of Duty-Terroristen und alles, was die Popkultur sonst noch so in großen Massen hergibt, mächtig auf die Fresse. Hauptsache böse, Hauptsache schier unüberschaubar; Horden, Schwärme, Zergs und Armeen zerhackstücken sich zu feinstem Pixelmatsch. Für die Veröffentlichung angedacht, aber trotzdem nicht dabei: Nazis. Die sind nachwievor zu böse für Games, man pflegt lieber noch ein wenig das Kriegstrauma, selbst, obwohl die Zeitzeugen mittlerweile ausgegangen sind. Maximal drei teamspezifische Champions dürfen pro Match zum Einsatz kommen, und die wollen mit ihren Pros und Cons gut gewählt sein.

Noch während der Nachwuchs auf meinen Schoß kraxelt und dort Platz nimmt, schalte ich per Wisch durch die Luft in die eigene Basis. Gestensteuerung wird das Nonplusultra werden. Hinter dem schützenden Gebirgszug, direkt am Schicksalsberg in der zerklüfteten Steppe, steht die Gebärschlammgrube und spuckt fleißig kleine Orks aus. Glücklich darüber, dass die Entwickler sich an der Jackson’schen und nicht der Tolkien‘schen Orkgenese (mit Orkweiblein) orientierten, zoome ich ein wenig herein. Wir sehen, wie kleine grünliche Männlein mit hauerbewehrten Kiefern aus dem braunen Matsch kriechen, sich kurz schütteln und im Losspurten einen Krummsäbel ziehen. Nebenan blubbert ein zweites Loch voller trüber Plörre, diese ist jedoch fast schwarz. In geringerer Frequenz  erheben sich die wesentlich kräftigeren Uruk‘hai-Orks daraus.
„Siehst du? Die grünen Männlein kommen aus dem Matsch da und sind ganz dreckig.“

„Iiiiiiih!“ entfährt ein freudiges Quietschen dem Nachwuchs, ehe dieser von meinem Oberschenkel hopst und pseudobedrohlich „Ich bin ein grünes Männchen!“ plärrend aus dem Zimmer huscht.

Mit wenigen Gesten gruppiere ich sechs Uruk’hai und dreißig Orks in drei kleine Rotten. Die großen Humanoiden buffen die kleineren Vertreter ihrer Spezies passiv mit größerer Widerstandsfähigkeit. Die werde ich gleich gut gebrauchen können, denn im Nordwesten der Karte geben sich gerade Goombas alle Mühe, den Gebirgszug zu meiner Basis zu überschreiten. Schön, dass es dem Mitspieler an Ressourcen für die Koopas gefehlt hat, denn so kann ich meine verbliebene Warg-Horde auf sie hetzen und abwehren.

Dank dem Turm Barad-dûr, von dem mein Avatar Sauron die Geschicke seiner Untertanen steuert, kann ich ein wenig weiter über die Ebene vor dem Steinwall blicken. Meine Infanterie hat beim Ressourcensammeln einen ziemlichen Kahlschlag der ehemals grün bewachsenen Karte verursacht. Da Holz in Form von Bäumen auf den weitläufigen Multiplayer-Karten zwar fast inflationär zu finden ist, bekomme ich pro gefälltem Baum jedoch nur fünf Ressourceneinheiten. Ein einzelner Infanterie-Ork kostet jedoch schon 10 Einheiten. Ungleich wertiger sind Minen und Felder, die auf kleinstem Raum guten Ertrag bieten, für meine Sauron-Armee aber entsprechend nutzlos sind. Die zahlreichen Außenposten, die ich um die Ichor-Felder und Metallminen errichtet hatte, sind bereits dem Imperium unter Palpatine und der Scrin-Armee des Großmeisters 371 zum Opfer gefallen. Wäre ich mit dem Avatar Diablo ins Spiel eingestiegen, hätte ich als Basisressource die Seelen getöteter Feinde verwenden können, um meine untote Schar aufzubauen. Aber so? Keine Chance, ich muss weit außerhalb meiner Basis sammeln.

Bowsers Armee habe ich unterschätzt, was jetzt mein Ende bedeuten wird: Aus dem Kriegsnebel im Nordwesten brechen nun doch Koopas, angeführt von den Koopalingen Iggy und Lemmy, die Gegner mit ihren Spezialattacken „Robbenverwandlung“ und „Doppelgänger“ verwirren und angreifen.  Im Südwesten tauchen zu meinem Missmut aus einem übersehenen Teleportations-Tor Horden von Scrin auf. Bedrohlich schiebt sich das Mutterschiff durch den Himmel. Mit schnellen Gesten schalte ich die Produktion der Gebärgrube von gewöhnlichen Infanterie-Orken auf Speerwerfer um und hoffe, dass sie, von Bolg mit Angriffsstärke gebufft, das Alienschiff vom Himmel holen.

Etwas später am Abend. Es war hässlich, wie der Ionenstrahl der Scrin mein Mini-Mordor in verbrannte Erde verwandelte. Da ich Niederlagen nicht so leicht wegstecke, schiebe ich das stattgefundene Debakel auf die noch immer umständliche Benutzung von VR- und AR-Technologie. Auf meinem Schreibtisch liegen wieder Tastatur und Maus.

Es ist Badezeit. „Ich muss nicht baden! Ich bin ein grünes Männchen!“ kreischt die Kleine aufgebracht, patscht mit ihren Händen ins Wasser und versucht in ihrer Verzweiflung, ein markerschütterndes Gebrüll von sich zu geben. Es versickert in einem überanstrengten Husten.

Es wird sich an MMM zeigen: Videospiele versauen Kinder ganz gehörig.

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