The Games That Never Were: Dead Space hoch 3

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Stagnation, Aufgewärmtes, Sequels: Wer sagt, dass es bei Games nicht noch Platz für revolutionär Neues, für Unerwartetes, Abwegiges oder schlicht: das Unmögliche geben darf? The Games That Never Were ist ein Gedankenexperiment: Spiele, wie es sie nie gegeben hat und so auch wohl nicht geben wird. Mein zweiter eigenhändiger Eintrag in diese Reihe Games Speculation ist ein Sonderfall: Was wäre, wenn Visceral Games den dritten Teil der Dead Space-Reihe nicht dem vermeintlichen Massengeschmack des Actionpublikums angepasst hätte, sondern tatsächlich den Survival Horror von Teil 1 auf ein neues Plateau gehoben hätte? Angst statt Action, Dead Space hoch 3 statt Dead Space 3 - ein Game that Never Was. 

Wenn Spieleentwickler selbst öffentlich Designentscheidungen bedauern, läuft etwas schief. So seufzt  der Autor des ersten Teils der Dead Space-Reihe, Antony Johnston, im Interview, dass der Action-Fokus des dritten Teils auch nicht nach seinem Geschmack sei: 

... the greater emphasis on big action in the sequels means they’re not really for me. ... [The focus on action is] a necessary evil in order to broaden the fan base.

... otherwise you’d just have the same game on a different ship each time, and that’s pretty dull.

Wer sagt, dass Dead Space 3 nicht auch auf originelle Weise den Survival-Horror im Hochglanz-Mainstream neu erfinden hätte können?

Die Fanbasis verbreitern, das heißt in der Logik des Mainstreams immer Orientierung an den Bestsellern - und somit wohl am Dudebro-Gesocks von Call of Duty und Gears of War. Dagegen lässt sich kaum argumentieren, auch wenn man die selbstbeschränkende Einengung auf das immerselbe Rezept und die immerselbe Zielgruppe bedauern und als Hemmschuh für Innovationen kritisieren darf.

Johnstons zweites Argument gegen eine Rückkehr zum Survival Horror des ersten Teils ist allerdings bei näherer Betrachtung fadenscheinig: Klar wäre eine 1:1-Wiederholung derselben Jump Scares aus Teil 1 langweilig - aber wer sagt, dass Dead Space hoch 3 hier nicht auch auf originelle Weise den Survival-Horror im Hochglanz-Mainstream neu erfinden hätte können? Dazu drei Ansatzpunkte.

1. Die neue Schwäche. Slender und Amnesia haben es vorgemacht, wie Horror im interaktiven Medium frisch funktioniert - und die wichtigste Lehre ist jene der Verletzlichkeit. Dazu müsste Dead Space hoch 3 als Erstes aus dem zur schwerbewaffneten Kampfmaschine mutierten Isaac Clarke wieder einen fragilen Menschen machen, der auch Grund hat, sich zu fürchten. Das in der Dead Space-Reihe fantastisch implementierte Interface, das ganz auf HUD-Elemente verzichtet und sich im Spiel stets als logisches Element des Raumanzugs darstellt, könnte man mit großem Effekt auch mal verschwinden lassen - und das heißt keine Gesundheitsanzeige, keine Stasis, keine Objective-Marker. Zumindest eine Zeitlang sollte man auf der Suche nach Anzug und Bewaffnung den Feinden eher ausweichen, sich vor ihnen verstecken oder weglaufen statt sie schnöde wegzupusten.  

Dafür dürfen es dann gern weniger Monster sein; Ridley Scotts Alien und John Carpenters Thing kommen gar mit einem einzigen aus. Für mindestens das erste Spieldrittel wäre es also vielleicht auch eine spannende Aufgabe, ohne Waffen oder Anzug einem verfolgenden Necromorph zu entkommen bzw. die Umgebung als Waffe einzusetzen.

2.Reduktion. Es ist schade, dass sich Dead Space 3 auf mehrere Orte verteilt, diese aber dafür nur im Sinne einer Achterbahnfahrt durchquert. Spannender wäre es, sich auf einen Ort zu beschränken - ob es jetzt bekannt bravourös ein riesiges Raumschiffwrack oder eine verlassene Forschungsstation im ewigen Eis ist, ist dabei egal. Die Charakterisierung der Räume, die Set-pieces waren immer eine Stärke der Reihe; Dead Space hoch 3 könnte gut und gern diesen Horrorarchitekturen mehr Raum zur Entfaltung geben und sie vielleicht, wie in Metroid oder Dark Souls, wirklich nach und nach frei erforschbar machen. 

Weg mit den KI-Kollegen: Einsamkeit

macht Angst.

Ebenfalls reduktionswürdig: das Personal. Wer braucht die peinliche Love-Interest-Story oder KI-Kollegen, von denen man nach jeder Cutscene wieder getrennt wird? Einsamkeit macht Angst. Lieber einen einzigen Kommunikationspartner im Stil der perfiden AIs wie Shodan oder GladOS. 

Apropos Shodan: Die unterirdische Verwandtschaft der Dead Space-Reihe mit den Klassikern System Shock 1 & 2 könnte auch hier eine Blaupause für eine Dead Space-Erfahrung liefern, die  sowohl über eine Wiederholung der Jump-Scares von Teil 1 als auch den Action-Fokus von Teil drei hinausgeht. Klar wäre dann nicht mehr das - eh schon etwas öde - "strategic dismemberment" Hauptspielmechanik - aber wer derart atmosphärische Settings erschafft, dem ist auch eine Verlagerung des Spielprinzips zuzutrauen.

3. Verunsicherte Wahrnehmung. Body Horror, also jene Horrornische, in der "the horror is principally derived from the graphic destruction or degeneration of the body", kann weit mehr als nur Splatterzombies in der Schießbude aufzubieten - schlag nach bei Cronenberg. Die Halluzinationsmechaniken des Koop-Modus würden sich perfekt für ein Single-Player-Spiel eignen, in dem die Angst vor der eigenen Infektion ständiger Begleiter ist. Wahnsinn und körperlicher Verfall bzw. grässliche Verwandlung - die Möglichkeiten, die Dead Space hier in seiner Fiktion anbietet, sind spielerisch nicht einmal annähernd ausgereizt. 

Und: Warum nicht den Spieler verunsichern, ihn dazu bringen, seinen Augen nicht zu trauen? Warum ihn zugleich nicht viel mehr auf seinen Körper zurückwerfen - durch die Gefahr von Infektion, stärkere Betonung der Survival-Elemente im Kampf gegen Vakuum, Kälte, Verstrahlung? Warum nicht in manchen Teilen den Line-of-Sight-Mechanismus aus Slender benutzen - oder an anderen jenen aus SCP Containment Breach?

Man sieht: Die Ausrede, Dead Space 3 sei zu einer stärkeren Betonung der Action verdammt, weil in Teil 1 bereits alle Register des Survival Horrors gezogen worden wären und nun nur mehr Wiederholung möglich wäre, zieht bei näherer Betrachtung nicht.

Wer "kaum gute Horrorspiele" sieht, ignoriert den Indiebereich: Hier gibt es fast eine neue Ära des Horrorspiels.

So bleibt den Fans des ersten Teils nur ein Was-wäre-wenn und die Hoffnung, dass sich auch im Triple-A-Bereich der Mut zu Experimenten mit dem Horrorgenre durchsetzt. Denn eines stimmt garantiert nicht: Dass es kaum gute Horrorspiele  gibt, wie Kollege Zsolt Wilhelm vor kurzem wortreich beklagte, ist ein Missverständnis. Vielleicht gibt es kaum gute große Triple-A-Horrospiele im (Konsolen-)Mainstream, dem ja auch Dead Space 3 angehört; im Indie-Bereich hingegen hat man durch die Entdeckung der kleinen Form und festes Vertrauen in eine Spielerschaft, die unter "Spaß" nicht nur den Einsatz fetter Wummen versteht, ganz im Gegenteil fast so etwas wie eine neue Ära des Horrorspiels eingeläutet.

Es wäre an der Zeit, dass sich die großen Publisher dieser Lehren aus dem Underground besinnen - vor allem dann, wenn sie wie im Fall von Dead Space so fantastisch geeignetes Ausgangsmaterial zur Verfügung hätten. Survival Horror im Spiel steht nicht an seinem Ende. Ganz im Gegenteil.

Es bleibt die Vision von Dead Space hoch 3 als Game that Never Was. Schade eigentlich.

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