Für Top-Games in Österreich gibt es viele Talente

Thomas Mahler, Mastermind hinter dem vielversprechenden "Ori and The Blind Forest", ortet in einem aktuellen Interview fehlendes Talent in Österreichs Games-Landschaft. Sein Kommentar soll als gut gemeinte Motivation dienen, wirkt stattdessen aber unkonstruktiv und ignorant.

Ich habe Thomas Mahler letzten Herbst kennengelernt als ich für FM4 ein Panel über Indie-Games-Entwicklung zusammengestellt habe. Das Podium war verhältnismäßig schnell organisiert, denn ich hatte meine Lieblingsrunde erfreulicherweise bereits früh fixieren können. Auf der Bühne der Game City 2014 saßen am 10. Oktober 2014 Tiare Feuchtner von Zeppelin Studio ("Schein"), Philipp Seifried ("Ace Ferrara And The Dino Menace"), Jogi Neufeld von Subotron und Rainer Sigl von einem gewissen Games-Kultur-Blog namens Video Game Tourism. Thomas Mahler kam erst nach der Bestätigung dieser Runde ins Gespräch, ich wollte ihn aber unbedingt auch dabei haben. Sein schneller medialer Aufstieg mit der international besetzten Entwicklerfirma Moon Studios und ihrem Game "Ori And The Blind Forest" wäre eine sehr interessante Ergänzung. Weil das reguläre Panel schon voll war, habe ich Thomas gebeten, quasi als Überraschungsgast zur Halbzeit der Veranstaltung dazuzustoßen. Er hat rasch reagiert, ausführlich und interessiert geantwortet und zugesagt.

Das Panel war wegen der unterschiedlichen Erfahrungen der Gäste inhaltlich sehr vielseitig und die Beiträge des kurzfristig hinzugestoßenen Thomas Mahler hatten das Gespräch bereichert. Er sprach über dezentrales Arbeiten in und mit einem internationalen Team, der sinkenden Relevanz des Labels "Indie" und den verbesserten Rahmenbedingungen bei der Entwicklung für Konsolen. Allerdings war der Mann in erster Linie wegen der Promotion seines eigenen Spiels auf der Game City und deshalb nach der Panel-Veranstaltung so schnell wieder verschwunden, wie er gekommen war. Chitchat ist auf einem wichtigen Event wenige Monate vor dem Release seines Spiels eben zeitlich oft nicht drinnen - verständlich. Weil man Thomas Mahler in der Wiener und österreichischen Games-Community aber kaum kennt, rankten sich so weiterhin Mysterien um den erfolgreichen Mann, der früher Charakter- und Cinematics Designer bei Blizzard Entertainment war. Unübersehbar ist sein Talent: Mahler wirkt technisch hochkompetent, hat ein dynamisches, professionelles Auftreten, spricht Klartext ohne beleidigend oder aufdringlich zu wirken und mutet wie eine gute Führungspersönlichkeit an, die den Markt kennt und genau weiß, warum sie was von sich und ihren Mitarbeiter/innen verlangt. "Ori" ist wohl nicht umsonst bei Xbox unter Vertrag, das dort international stark promotet wird. Hier weiß jemand offensichtlich, wie der Hase läuft. Das kann die österreichische wie internationale Games-Kultur- und Spielentwicklerlandschaft grundsätzlich nur bereichern.

Doch nun hat Mahler dem Online-"Standard" ein eher unglückliches Interview gegeben, in dem er unverhohlen die österreichische Entwicklerlandschaft als in diversen Punkten "mangelhaft" bezeichnet ohne Details zu nennen. Wirkliche Talente würden fehlen, ebenso wie Bildungsangebote und Investitionen. Gleichzeitig betont Mahler, dass es ihm bei seiner eigenen Firma egal sei, woher die Talente kommen würden - in Österreich hätte er sie jedoch "mit Sicherheit nicht" gefunden. Im Forum des Fachmagazins "CG Mag" erklärt er anschließend seine Aussagen, allerdings ohne sie abzuschwächen, und spricht von "kaum nennenswerten Produkten", die aus Österreich kämen. Diese Einschätzungen muten aus mehrerer Hinsicht seltsam an. Zunächst sollte man zwischen dem internationalen Games-Markt und einer nationalen Spielentwicklerszene unterscheiden. Jede und jeder, die und der Computer- und Videospiele entwickelt, sollte sich bewusst sein, dass das jeweilige Produkt für viele Länder dieser Welt zumindest grundlegend attraktiv sein sollte. Immerhin sind die sprachlichen Barrieren bei anderen Kulturprodukten, etwa bei Film oder Literatur, weitaus größer als bei Games - ein großer Vorteil für die Branche. Das jeweilige Heimatland ist beim eigenen Markteintritt zwar nicht unwichtig, aber auch nicht zentral (auch, wenn die lokalen Wirtschaftslobbyverbände das naturgemäß immer anders sehen). Eine internationale Ausrichtung und Zusammensetzung der Firmenmitglieder macht demnach in vielerlei Hinsicht Sinn. Übrigens arbeitet nicht nur Moon Studios sondern etwa auch das von Österreich aus gelenkte Projekt "Son of Nor" so.

Um Erfahrungen auszutauschen, den lokalen Zusammenhalt und Wissenstransfer zu stärken und sich auf den internationalen Markt vorzubereiten, ist hingegen eine nationale Spielentwicklerszene wichtig. Hier ist die eigene Heimat ein wohliger Hafen und die Mitstreiter/innen sind sprachlich und kulturell nahe beieinander. Das hilft, damit junge Talente losstarten und damit erfahrene Leute immer wieder Energie bei den eigenen Wurzeln sammeln können. Ob man nun ein "frisch gefangter" Programmierer ist, der ein kleines Puzzlegame für Iphone macht oder ein Producer, der auf jahrzehntelange Entwicklung im Triple-A-Bereich zurückblickt, ist erst mal egal. Was zählt, ist das Sichtbarsein, die wechselseitige Aufmerksamkeit, die Stärkung der Szene und der Erfahrungsaustausch. Kritisches Feedback ist wichtig, persönliche Befindlichkeiten hinsichtlich der jeweiligen Produkte sind aber zunächst mal unwichtig. Hier geht es nicht darum, ob man selbst lieber "The Binding of Isaac" statt dem neuesten Free-2-Play-Aufbauspiel zockt, an dem die Kollegen gerade arbeiten, sondern um die Weiterentwicklung der lokalen Community. Und die hat sich von Anfang und Mitte der 2000er Jahre bis heute wesentlich nach vorne bewegt - das kann ich als jemand, der seit Beginn an bei Subotron-Veranstaltungen als Beobachter, Teilnehmer, Moderator und Berater dabei ist, nach über zehn Jahren guten Gewissens behaupten. Dass ein kleines Land wie Österreich in Sachen Games-Entwicklung dennoch nicht in der selben Liga wie Deutschland, Frankreich oder gar Großbritannien, den USA oder Kanada spielt, ist Grund genug, weiterhin dran zu bleiben und Zug und Zug Verbesserungen anzustreben. Grund für einen Rundumschlag ist es keiner.

Thomas Mahler meint es vermutlich gut mit seinen aufrüttelnden Worten eines Coaches, trägt aber selbst zu wenig dazu bei, dass er in dieser Rolle respektiert werden kann. Grundsätzlich mag niemand gerne externe Besserwisser, die in eine lange bestehende Gemeinschaft reinplatzen und sofort beginnen, alles grundlegend zu kritisieren. Sicher, als jemand, der unbefangen ist und von außen beobachtet, sieht man oft Dinge, die die anderen über Jahre hinweg nicht bemerkt haben. Doch Mahler macht sich nicht die Mühe, die aktuelle Lage zu sichten - geschweige denn, sich darüber zu informieren, was die Jahre davor passiert ist. Man muss nur ins letzte Jahr zurückschauen, um bemerkenswerte Erfolge zu sehen, die nicht nur dem langjährigen, etablierten Zusammenhalt der österreichischen Games-Szene entstammen sondern auch in Österreich passiert sind. 2014 hat die ehemals kleine Firma Socialspiel einen potenten Geschäftspartner aus Korea bekommen, der mit einem siebenstelligen Eurobetrag strategisch in das Unternehmen investiert hat. Das mobile Spiel "Blek" hat monatelang international die Apple-Download-Charts angeführt und ihre zwei Entwickler aus Wien zu Millionären gemacht. Broken Rules hat mit "Secrets of Raetikon" vor allem durch den außergewöhnlichen visuellen Stil begeistert. Philipp Seifried hat sein Spiel "Ace Ferrara" fertig gestellt und viel internationale Anerkennung geerntet. Sind das "kaum nennenswerte Produkte", wie es Thomas Mahler formuliert? Sein Spiel ist selbst noch nicht am Markt, es kann ihm also wohl nicht nur um wirtschaftlichen Erfolg gehen.

Das Nicht-unterscheiden-wollen zwischen den vielen Submärkten und Produktformen innerhalb der Games-Industrie seitens Mahler ist ärgerlich und einer der Hauptgründe dafür, warum seine Aussagen in dem "Standard"-Interview für verständlichen Unmut sorgen. Ein Unternehmen wie etwa Sproing, das seit rund fünfzehn Jahren von Wien aus zwar nicht mit glamourösen Spielen begeistert, dafür eine sehr gute Marktkenntnis hat und über eine stabile Firmenstruktur verfügt, dürfte bei Mahlers Aussagen zurecht den Kopf schütteln. Die auf Games-Entwicklung spezialisierten Ausbildungsstätten, die FHs, Uni-Institute und privaten Institutionen in Österreich, hätten recht, wenn sie jemanden nicht ernstnehmen, der sie vorschnell pauschal als "mangelhaft" aburteilt.

Ein Arschtritt ist meist etwas, über das man sich zunächst mal ärgert, man später aber als konstruktive Motivation erkennt. Doch der Arschtreter muss imstande sein, punktuelle Probleme zu erkennen statt allgemeine Aussagen zu treffen. Er muss das eine rostige Zahnrad in einem Werk ausfindig machen können anstatt gleich das ganze Gerät austauschen zu wollen. Geschmäcklerische Wertungen vorzunehmen und die Dynamik und Anforderungen der eigenen Firma auf eine gesamte Creative-Industries-Branche übertragen zu wollen, ist - ja, doch - überheblich. Thomas Mahler verwechselt darüber hinaus den vielseitigen internationalen Games-Markt mit dem Zusammenhalt und dem Wachstum einer lokalen Spielentwicklerbranche. Erfahrungen und Best-Practise-Beispiele sind inspirierend und haben im Idealfall Vorbildwirkung. Aber die Menschen, die sie vorbringen, müssen auch etwas dafür tun, damit man ihnen Vertrauen und Anerkennung entgegenbringt.

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