Dark Souls: Vom Reiz, komplexe Systeme verstehen zu lernen

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Dark Souls ist ein Spiel, das einen auch dann beschäftigt, wenn man es gerade nicht spielt. Das kommt in meinem Fall wohl auch daher, dass ich nicht gerade der größte Fan der klassischen Prüfungsstruktur in Spielen bin: Für mich ist die Herausforderung, ein Spiel zu "besiegen" ("beating the game"), also "besser" zu sein als die mir entgegengeworfenen Aufgaben, kein besonderer Anreiz zum Spielen. Deshalb brütet die dunkle Verlockung von Dark Souls höhnisch vor allem dann in meinem Hinterkopf, wenn ich voller Frust nach drei Fehlversuchen, einen $#*!! Gargoyle zu besiegen, den Controller fallen lasse und mir vornehme, meine Zeit mit Sinnvollerem zu verbringen.

Es ist die Leistung von Dark Souls, dass ich es dabei nicht belasse. Die landläufige, auch plausible Erklärung dieses Faszinosums beschränkt sich auf die Thematisierung dieses Schwierigkeitsgrads als herausstechendes Merkmal. Michael Abbott hat Dark Souls als "Dojo of the Soul" bezeichnet und die Praxis, also das ernsthafte Üben, als Herz des Ausnahmespiels bezeichnet, und natürlich hat er - und all die anderen Kritiker, die zum selben Schluss kommen - damit Recht. Für mich ist es allerdings ein weiteres Spezifikum von Dark Souls, das seine absolute Ausnahmestellung und Faszination erklärt: Wenige Spiele, vor allem der Gegenwart, appellieren so sehr an meinen Entdeckerdrang und geben mir dabei die volle Verantwortung für meinen Erfolg oder mein Scheitern.

In Dark Souls gilt es das ganze Spiel als komplexen Mechanismus verstehen zu lernen.

Entdeckerdrang? Dark Souls ist im Kern ein lineares Spiel, ja sogar eines, das klassisch auf unser Gedächtnis setzt: Hinter dieser Ecke lauert jener Gegner, immer wieder. Dark Souls geht aber über das oberflächliche Befriedigen jener Wanderlust hinaus, das Open-World-Spielen wie Skyrim oder Far Cry 3 zentral ist, denn in Dark Souls gilt es nicht nur "die Welt" zu entdecken und zu erforschen, sondern das ganze Spiel als komplexen Mechanismus aus perfekt abgestimmten, zu Beginn obskuren Regeln und Gesetzen gehorchenden Einzelteilen verstehen zu lernen. Es ist der Appeal, den etwa auch klassische Rogue-likes verströmen: Wer Brogue oder Nethack spielt, kämpft nicht nur gegen die (im Unterschied zu Dark Souls immer zufallsgenerierten) Kerker und Monster, sondern erprobt sich an einem komplexen System aus einander beeinflussenden Regeln und durch Versuch und Irrtum aufzudeckenden Gestzmäßigkeiten.
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Trotz aller Verwandtschaft zu klassischen Hack'n'Slay-Spielen spricht aus der Dark Souls zugrundeliegenden Designphilosophie nicht nur das ebenfalls aus Rogue-likes geerbte Bekenntnis zu einer abgemilderten Form des Permadeath und einer rücksichtslosen Härte, sondern auch ein Zutrauen zum Spieler, das heutzutage bemerkenswert ist. Das macht auch (für mich bei weitem mehr als diese Anforderung zu Hartnäckigkeit, Präzision und Disziplin) den faszinierenden Reiz aus: Hier nimmt mich kein Tutorial an die Hand, hier wird kein Wort der Warnung ausgesprochen, wenn ich mich zu schwach in High-Risk-Gebiete begebe, hier kann ich wichtige NPCs töten, ohne vom Spiel daran gehindert zu werden. Die Konsequenzen meiner Handlungen sind nicht so sehr Strafe, sondern nüchterne Resümees meiner Entscheidungen - und wenn ich aufmerksam bin, lerne ich daraus.
 

Dark Souls beugt sich nicht dem Zwang, dem Spieler zuallererst "Spaß" bieten zu wollen und alles möglichst verständlich zu machen.

Wie im Rogue-like wartet die Welt ungerührt auf meine Interaktion, und wie dort werden für mich als Spieler keine Regeln verbogen, um mir entgegenzukommen. Dark Souls beugt sich nicht dem seuchenhaft grassierenden Zwang, dem Spieler zuallererst "Spaß" bieten zu wollen, ihm Hürden aus dem Weg zu räumen, alles möglichst verständlich zu machen. Stattdessen ragt es in all seiner opaken Sturheit und natürlich verwirrenden Komplexität wie ein Berg vor einem auf, der nur langsam, mit Mühen und Rückschlägen bezwungen werden kann. Mich fasziniert das kaltschnäuzige Selbstbewusstsein, mit dem From Software hier die Aufdeckung und Bewältigung nicht nur dieser Welt, sondern des gesamten Spiels als komplexen Mechanismus einzig dem Spieler überlässt - ein Zugang, der jenem fast aller anderen Mainstreamspiele entgegengesetzt ist, die ihre Spieler möglichst leicht und möglichst frustfrei an ihre Herausforderungen heranführen wollen, sie an der Hand nehmen und möglichst friktionsfrei bespaßen wollen.

Zweifelsohne hat der Schwierigkeitsgrad seinen Anteil an der erstaunlichen Popularität, die dieses aller Businessweisheit spottende Design dennoch genießt; die neue Lust an der alten Härte befriedigt ganz sicher unseren Ehrgeiz, etwas zu vollbringen, auf das wir stolz sein können. Für mich geht diese Leistung aber über die Kämpfe weit hinaus: Es ist die Lust, sich einem zu Beginn opaken Spieldesign auszusetzen, langsam seine Regeln aufzudecken, seine absurden, willkürlichen Besonderheiten zu verstehen und sein Dunkel zu durchdringen, die mich beschäftigt.

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Für mich war dieser Zugang zu Spielen ganz zu Beginn meiner Spielekarriere, damals, in grauer Vorzeit,  selbstverständlicher Bestandteil des Mediums: Wenn die aus zweifelhaften Quellen stammenden und krakelig beschrifteten Floppy-Disks zum ersten Mal ihre Spielefracht zu erkennen gaben, begann, tatsächlich, ihre Analyse, die relevanter Bestandteil meiner anhaltenden Faszination für das Medium war. (Damals war noch nix mit Internet, und auch Handbücher waren - räusper - nicht gerade immer zur Hand.) Jedes Spiel musste als komplexer Mechanismus aus zu Beginn unbekannten Regeln, Interfaces und Möglichkeiten zunächst einmal verstanden werden, und das Erlernen und Aufdecken dieser Systeme war mindestens so viel Spiel wie das darauf erst folgende Bedienen und Meistern dieser Systeme.
 

Das Erlernen und Aufdecken komplexer Systeme ist mindestens so viel Spiel wie  Bedienen und Meistern dieser Systeme.

Dark Souls weckt diese in Zeiten von Tutorials, Hint-Popups und maximaler Zugänglichkeit fast verloren gegangene Faszination an der Analyse, am eigentlich klassisch wissenschaftlichen Herangehen an Komplexität durch Versuch, Irrtum und Hypothesenüberprüfung. Diese spieldesignmäßige, fast philosophische Härte, die Weigerung, dem Spieler im Namen der Zugänglichkeit alle Informationen zu geben, sondern sie mühsam erfahrbar zu machen, ist es, die für mich viel mehr von der Faszination erklärt als bloß der Verweis auf den Schwierigkeitsgrad. Dark Souls nimmt seine Spieler ernst und traut ihnen zu, seine Komplexität selbst aufzudecken.

Dass dieser Zugang durch Kultstatus und Begeisterung in Kritik und Spielerschaft gewürdigt wird, ist ein Beleg dafür, dass Spiele mehr sein dürfen als nur einfach konsumierbares Entertainment. Spaß ist nicht alles.

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