Was man spielen soll

Eigentlich für den Pile of Fame gedacht, aber jetzt doch ein “Was man spielen soll”.

Manchmal begegnet man Spielen, die eigentlich um Erlaubnis bitten müssten, bevor sie Platz nehmen in der Nische, die man selbst schon seit Jahren bewohnt. Where The Water Tastes Like Wine ist so ein Spie für mich: eine ausufernde Liebeserklärung an die amerikanische Folklore. Ach, drehen wir das Agalliao-Tron gleich auf Anschlag und nennen das Kind beim vielfältigen Namen: Where The Water Tastes Like Wine ist eine Hymne nicht nur auf das Erzählen, sondern auch auf das Zuhören, eine Auseinandersetzung mit dem tausendfachen Ineinandergreifen von Sagen, menschlichen Tragödien, Mythen, Alltagstratsch, Tall Tales, Biographien, Witzen, Urban Legends und der Sprache der Landschaft.

Slay the Spire ist eine gelungene Mischung aus Roguelike und Kartenspiel. Raum für Raum klettere ich den namensgebenden Turm empor und kämpfe dabei rundenweise gegen allerhand Feinde. Über deren Köpfen wird angezeigt, welche Attacke sie für den nächsten Zug planen und wie viel Schaden diese verursacht, dementsprechend kann ich mit Angriffs- und Verteidigungskarten reagieren. Unverbrauchte Karten werden abgeworfen und in der nächsten Runde durch eine neue Hand ersetzt. Sollte ich siegreich aus dem Kampf hervorgehen, darf ich mir eine von drei neuen Karten aussuchen und meinem Deck hinzufügen.

Was man spielen soll - Hitzewelle-Edition

Was: Caveblazers Windows 9,99 Euro

Caveblazers ist Spelunky, das alte, pixelige Gratis-Spelunky, mit einem größeren Fokus auf Kampf. Was in einem Satz so unspektakulär klingt, ist dennoch ein Sommerspiel der besten Sorte: Kurz, intensiv, und immer wieder spielbar, auch wenn die Luft steht und man zu sonst nichts fähig ist.

Als kleiner Abenteurer springt, läuft und kämpft man sich immer tiefer in ein jedes Mal neu generiertes Labyrinth aus Fallen und Monstern. Wie bei Rogue-like-likes üblich, sorgen unzählige Items, Waffen und Power-ups dafür, dass kaum Wiederholung aufkommt, und wie es ebenfalls strenge Konvention ist, wirft der Tod zurück an den Start. Ausgestattet mit einer Schuss- und einer Nahkampfwaffe bekämpfen wir neben Fledermäusen, Goblins und anderem Getier auch eine Reihe von Oberbossen, die, zufällig gereiht, alle drei Levels auf uns warten und ziemlich viel einstecken können.

In der Mod Sky Factory wird Minecraft auf den Kopf gestellt. Anstatt einer endlosen Welt mit pittoresken Landschaftszügen und reichhaltigen Bodenschätzen, finden wir uns in diesem Fall auf einem einzelnen Baum wieder, der mutterseelenallein in der Luft schwebt. Von hier aus müssen wir uns unsere eigene Welt erstmal zusammenbauen: Aus dem Holz des Baumes entstehen erste Plattformen im leeren Raum, sowie einige Fässer, in denen sich kompostiertes Laub in Wasser und Erde verwandelt. Erde lässt sich sieben um Saatgut und Gestein zu erhalten, was sich wiederum erst zu Schotter, dann zu Sand und dann zu Staub hämmern lässt. Staub und Wasser ergeben Ton, aus dem sich Tiegel formen lassen, in denen Gestein zu Lava verkocht. Lava und Wasser fügen sich zum Gesteinsgenerator zusammen, der nun endlos feuerfestes Baumaterial auswirft.

Die vielfältigen und teils fragwürdigen Zusammenhänge von Sky Factory zu enträtseln, macht einen Großteil seiner Faszination aus, da sich nicht nur mit jedem herstellbaren Material die eigenen Möglichkeiten potenzieren, sondern jeglicher Fortschritt im Spiel direkt an das eigene Verständnis seiner Kreisläufe geknüpft ist. Während ich auf der Suche nach Diamanten im Original Minecraft hoffen muss, beim zeitaufwändigen Tunnelbau oder in monsterverseuchten Höhlen fündig zu werden, siebe ich in Sky Factory einfach so lange zerkleinertes Gestein, bis die Klunker zu mir kommen.

Sagen wir es ehrlich: Enttäuschte Liebe macht bitter. Dass ich mit den großen Versprechen des Open-World-Genres wiederholt hart ins Gericht gegangen bin, kommt auch daher, dass die ihnen zugrundeliegende Idee einmal einfach großartig war. Freiheit, das ist aber mehr als nur Bewegungsfreiheit, vor allem dann, wenn diese Bewegung zwischen unzähligen Beschäftigungsangeboten zur mühsamen Dauerunterhaltungsberieselung ohne jeden Horizont verkommt.

The Signal from Tölva ist das Gegenmodell zum vollgestopften Jahrmarkt der Marke Far Cry & Co: ein minimalistischer Open-World-Shooter, in dem der kontemplativen Naturbeobachtung ebenso viel Platz gelassen wird wie überraschend taktischen und anspruchsvollen Schusswechseln. Ja: Das soll man spielen.

Bücher: gut. Spiele: auch gut. Spielbücher: hmmmmnaja. Natürlich habe ich auch irgendwo auf dem Dachboden einige eselsohrige Ausgaben der klassischen Jackson-und-Livingstone-Abenteuer herumliegen, doch meine Faszination für das Medium „spielbares Buch plus Würfeln“ war spätestens mit der Entdeckung von Parsern, CRPGs und waschechtem Pen&Paper-Rollenspiel (in dieser Reihenfolge) irgendwann Ende der 80er-Jahre verflogen. Warum mühsam von Seite zu Seite blättern, wenn man selbiges entweder vom Computer erledigen lassen oder nebenbei mit Freunden den jeweils ahnungslosen Eltern die Jägermeistervorräte dezimieren kann? Mit Sorcery! habe ich erst jetzt, Jahre nach Erscheinen des ersten Teils und Jahre nach der Freude über den avancierteren Inkle-Ableger 80 Days, meine Begeisterung für ein digitales Spielbuch mit Wurzeln in der ganz klassischen Ära entdeckt. Sorcery! soll man spielen.

Nach langer Zeit wieder einmal ein “Was man spielen soll”, und - warum nicht - diesmal vom gewohnten formalen Korsett befreit.

Brigador ist, schon auf den ersten Blick, ein Missverständnis. Ein Spiel über haushohe Kampfroboter, tonnenschwere Panzer und Schwebefahrzeuge, die Hochhäuser und Industrieanlagen mit schwerster Artillerie in Schutt und Asche legen - in einem Grafikstil, der Menschen zu Ameisen und Wohnblöcke zu drolligen Puppenhäuschen macht? Die Faszination von Mechs liegt in ihrer Größe und Zerstörungskraft - und Brigador reduziert sie aufs Matchbox-Format.

Als letztes Spiel des Monats vor einer Sommerpause der VGT-Serie haben wir uns auf einen Kultklassiker geeinigt: ICO aus dem fernen Jahr 2001 ist ein Ausnahmespiel, auch heute noch. Warum es ihr "Spiel des Jahrtausends" ist, erzählt Elektro Uschi-Gründerin Franziska Bechtold in diesem "Was man spielen soll".

Was: ICO PS2, PS3 24,99 Euro (HD-Remake im Bundle mit Shadow of the Colossus)

ICO erzählt die Geschichte eines Jungen, der wegen seiner Hörner in ein Schloss verbannt und eingesperrt wird. Da es keine Einleitung oder Einführung gibt, erfährt man das auch nicht aus dem Spiel selbst, sondern aus dem Klappentext. Haben wir uns befreit, gilt es, sich von Raum zu Raum vorzuarbeiten. Bald treffen wir auf Yorda, ein zierliches Mädchen, die ab sofort zu unserer Begleiterin auf der Flucht in die Freiheit wird.

ICO ist ein Puzzle-Adventure mit Hack-and-Slay- sowie Platformer-Elementen, das zwar völlig linear verläuft, aufgrund seiner mitunter komplexen Architektur jedoch zu verwirren weiß.

Natürlich ist das zweite Spiel des Monats eines, das man spielen soll. Als Auftakt zur zweiten Themenwoche auf VGT hier eine Einstimmung und ein paar Gründe, warum Failbetter Games' Erstling ein Ausnahmespiel geworden ist.

Was: Sunless Sea PC, Mac 18,99 €

Wie im Klassiker Pirates steuern wir in Sunless Sea unser Schiff von Hafen zu Hafen, kaufen und verkaufen Waren oder kämpfen mit Seemonstern und Seeräubern. Größter Unterschied: Statt in der sonnigen Karibik sind wir dabei in quasiviktorianischer Zeit unter der Erdoberfläche unterwegs, auf der "Unterzee", einem riesigen Ozean im Erdinneren. Bei unseren Ausfahrten, die uns im Auftrag verschiedener Parteien, aber auch aus purem Entdeckerdrang aufs dunkle Meer führen, müssen wir stets ein Auge auf das körperliche und geistige Wohlergehen unserer Mannschaft haben.

Vor ziemlich genau fünf Jahren bin ich einem Spiel schwer verfallen, dessen Designer Vic Davis sich vor kurzem traurigerweise von der Computerspielentwicklung verabschiedet hat. Grund genug, in nostalgischer Trauer das großartige Solium Infernum erneut hervorzukramen und hier einen Uralttext von mir gekürzt wieder ins Rampenlicht zu holen. Die folgende Besprechung erschien unter dem Titel "Die Hölle, das sind die anderen" am 4.2.2010 zuerst für Telepolis. Aus diesem Grund weicht dieses "Was man spielen soll" etwas von der gewohnten Form ab.

Es ist Mundpropaganda, aber auch der Diversifizierung im Spielejournalismus in unzähligen Blogs zu verdanken, dass "Solium Infernum" zwei Monate nach Veröffentlichung im November 2009 in manchen Blogs präsenter ist als je zuvor: In zahlreichen "Game-Diaries" und After Action Reports verleihen Journalisten als auch Blogger in seitenlangen Nacherzählungen einzelner Partien ihrer Faszination am Ausnahmespiel Ausdruck. Dass diese Textsorte des "Spielberichts", die in dieser Form naturgemäß im Print-Journalismus selten auftaucht, auch für Leser interessant ist, die das Spiel noch gar nicht kennen, spricht für "Solium Infernum".