Worte mit Geschmack

Daniel Ziegener von herzteile und superlevel über ein Spielelement, das meist übersehen wird.

Auf dem Boden sind Blutflecken. Hoffentlich stammen sie nicht von ihren Freunden...

Sie können vor Dunkelheit und Nebel nichts erkennen.

"Der Tod ist erst der Anfang."

Ein Ölgemälde in einem großen Rahmen. Es ist gut erhalten und die abgebildeten Leute scheinen lebendig.

Ein Ölgemälde in einem großen Rahmen. Die Farbe ist trocken und rissig.

Ein Buntglasfenster. Der Muster in der Mitte erinnert an eine Frau.

Ein zerbröckelter Grabstein. Er trägt weder Namen noch Inschrift.

“Ich bezweifle, dass es irgendetwas bedeutet. Es ist nur Flavor Text.” las ich in irgend einem Forum, als ich nach Quellen für diesen Text suchte. Gefunden habe ich keine, nur Kommentare wie diesen. Also musste ich den Flavor Text von Resident Evil Zeile für Zeile vom Bildschirm abschreiben.

Flavor Text bezeichnet in einem Videospiel die beschreibenden, ergänzenden, erklärenden Texte. Flavor Text ist ein notwendiges Übel, das irgendwo zwischen den für die Story relevanten Dialogen die Welt des Spiels mit Leben füllen soll. Jeder schnippische Kommentar, den der Held von sich gibt, wenn er mit seinem vollautomatischen Gewehr einen Gegner aus der Deckung niedergestreckt hat, etwa. Aber auch die vielen, vielen Zeilen Text, die Gegenstände im Inventar beschreiben oder die Texte der Bücher, die der Spielwelt den Anstrich einer größeren Geschichte geben sollen.

Es ist Text, den eigentlich niemand wirklich lesen möchte und fast jedes Videospiel ist voll davon. Entsprechend schlecht ist der meiste Flavor Text in den meisten Spielen.

Porträts und Fotos hängen an der Wand. Sie sehen aus als würden sie gleich zum Leben erwachen.

Ein Porträt hängt an der Wand. Es scheint fast als würde es sie beobachten...

Die Wand ist voller Porträts. Alle Gesichter wurden übermalt.

"Der Tod ist der wahre Geist der Glückseligkeit."

Ein zerwühltes Bett.

Die einzige Bewegung ist das stille Flackern der Kerzenflamme.

Jedes Element ist unersetzbares Puzzlestück eines großen Ganzen.

Ausgerechnet das 2002 erschienene Remake von Resident Evil demonstriert, welchen Beitrag diese so leicht übersehene Textform zur Atmosphäre eines Spiels leisten kann. Zwischen all dem Trash und Kitsch verbirgt die von Zombies heimgesuchte Spencer Mansion unzählige kleine Anmerkungen, die mindestens ebenso viel Unbehagen erzeugen, wie das Stöhnen der wandelnden Toten.

Das Spiel mit dem Charme eines B-Movies, der sich selbst ernst nimmt, obwohl er weiß, wie albern er eigentlich ist, findet genau den richtigen Ton. Es handelt sich um ein Musterbeispiel für das, was heute "Enviromental Storytelling" genannt wird. Jedes Element ist unersetzbares Puzzlestück eines großen Ganzen, erzählt einen Teil der selben Geschichte aus einer anderen Perspektive.

Resident Evil zitiert den Horrorfilm, einige Bilder sind nahezu identisch aus Die Nacht der lebenden Toten übernommen. Aber es ist nicht nur das Kino. Es zieht ebenso direkte Inspiration aus der Fotografie und Literatur und arrangiert all diese Einflüsse um Leveldesign und Gameplay selbst herum. Die vorgerenderten Hintergründe sind starr und statisch, während sich Zombies, Monster und die Überlebenden in Echtzeit bewegen. Sie sind das einzige Lebendige in einer Toten Welt und das ist die Geschichte, die die vielen Texteinblendungen erzählen, die erscheinen, wenn die Hauptcharaktere einen Gegenstand genauer untersuchen.

Meist ist es ein, manchmal zwei kurze Sätze, die lediglich am unteren Bildschirmrand erscheinen, wenn eine Taste auf dem Controller getätigt wird. Die Stellen, an denen sie zu finden sind werden nicht hervorgehoben. Sie sind zumeist auch nicht wirklich wichtig.

Ein Gemälde des Hauses hängt in der Finsternis.

Ein Gemälde des Hauses bei Sonnenuntergang.

Ein Bild einer betenden Frau in einer Menschenmenge.

Ein Bild einer trauernden Frau vor einer Menschenmenge.

Hier scheint es nichts Nützliches zu geben.

Hier gibt es nur einen Haufen Krimskrams.

Hier gibt es nur Putzmittel. Es riecht etwas unangenehm.

Die Kette bewegt sich. Wohin sie wohl führt?

Sie können nicht zurückgehen.

Diese Zeilen kontrastieren sich immer wieder selbst und betonen den Unterschied zwischen Leben und Tod, oder genauer: Überlebenden und lebenden Toten. Neben Gemälden, die traurig und verblasst sind, hängt eines, dessen Farben hell und lebendig wirken. Von diesen plastischen Beschreibungen sehen Spielende nichts, für solche Details war die Grafik auch 2002 noch zu wenig differenziert. Die Details entstehen ausschließlich im eigenen Kopf. Sie erzählen von einer optimistischen Vergangenheit und dem unvermeidlich nahenden Untergang.

Wer die vielen beiläufigen Zeile notiert und aneinanderreiht erhält ein paar Verse Poesie. Vielleicht banal, vielleicht melancholisch, vielleicht bedeutungsschwer. Es ist eine einfache Sprache, aber eine wirkungsvolle, die selbst in der deutschen Übersetzung noch funktioniert. Die Reihenfolge wird sich unterscheiden und damit auch die Interpretation. Aber jedes einzelne dieser Gedichte wird unmittelbar das Herz des Horrors in der Spencer Mansion vermitteln können.

Die Flammen werden größer und größer. Sie werden sie jeden Moment einholen.

Sie spüren die Wärme des Lichtes auf ihrer Haut, als sie näher kommen.

Der Kerzenhalter glänzt kalt im Mondlicht.

Ein Tiger im Glanz des blauen und gelben Lichts.

Ein Gemälde des Hausese im Licht eines Blitzes.

"Der Tod ist alles."

An Angst stirbt man nicht, aber…

Willkommen im Überlebenshorror.

Es ist nur Flavor Text. Ich bezweifle, dass es nicht irgendwem irgendetwas bedeutet.

Autor: 
Gast