The Games That Never Were: Eine Komödie in mehreren Akten

Stagnation, Aufgewärmtes, Sequels: Wer sagt, dass es bei Games nicht noch Platz für revolutionär Neues, für Unerwartetes, Abwegiges oder schlicht: das Unmögliche geben darf? The Games That Never Were ist ein Gedankenexperiment: Spiele, wie es sie nie gegeben hat und so auch wohl nicht geben wird. Diesmal gibt uns Eugen Pfister die Ehre: Der Zeithistoriker schreibt und bloggt u.a. zu Mythen und politischer Kommunikation im Digitalen Spiel, zum Beispiel auf seinem Blog Spiel-Kultur-Wissenschaften. Mythen im Digitalen Spiel.

Uncle Willie: [hung over] Awww... this is one of those days that the pages of history teach us are best spent lying in bed.

(The Philadelphia Story, US 1940, D: George Cukor)

Die Eröffnung:

Im ersten Augenblick wirkt es nicht unbedingt so, als ob A und B im Laufe des Spieles noch zusammenkämen. Sie waren einander zu Anfang nicht sonderlich sympathisch – ganz im Gegenteil. Das „Schicksal“ – im Grunde das Narrativ bzw. der Code – hatte sie zusammen gezwungen. Eingesperrt in einen Aufzug auf dem Weg zu einer Party, zu der keiner wollte. Stereotype prallen aufeinander: Auf A wirkt B wie ein verwöhntes Vorstadtkind. B wiederum schätzt A als selbstgerechteN Hipster-Bobo ein. Noch ist die Hand des Spielers/der Spielerin eine substanzlose, als der Aufzug plötzlich ohne ersichtlichen Grund stehen bleibt. Er/Sie entscheidet in diesem Moment wessen Rolle übernommen werden soll. Ist die Entscheidung getroffen, verändert sich der virtuelle Kamerawinkel entsprechend. Er/Sie kann nun auf dem begrenzten Raum herumgehen, nach Gutdünken Knöpfe drücken und/oder das Gespräch suchen. Eine Auswahl mehrerer Aktions- bzw. Dialogmöglichkeiten eröffnet sich den SpielerInnen.

Wie reagiert A? Wie reagiert B? Egal was A für den sinnvollen nächsten Schritt hält, B ist davon nicht begeistert und weiß um einen besseren Plan. Ein Geplänkel bahnt sich an, eine Mischung aus schnippischen Bemerkungen, Besserwissereien und Flirten.

Tom Chambers: It's amazing how a few insults can bring people together in three hours.

Gilda Farrell: It was certainly good to hear all the names you called me. I haven't heard them since I left father and mother.

(Design for living, US 1933, D: Ernst Lubitsch)

Ziel dieses ersten Abschnitts des Spiels ist es die verbalen Attacken möglichst gekonnt zu parieren. Eine Szene, die sich in den folgenden Akten öfters in ähnlicher Form wiederholen, bzw. fortsetzen wird und die Seele des Spiels ausmacht – das spielerische Näherkommen zweier Menschen. Es gilt gewitzt und schlagfertig zu agieren, die Schwächen des Gegners zu entblößen, ohne beleidigend zu werden. Man findet sein Gegenüber ja doch ein wenig attraktiv. Und bei aller (eingebildeten) Antipathie – wer möchte schon die nächste halbe Stunde mit betretenem aggressiven Schweigen verbringen?

Man strebt danach in der Diskussion die Oberhand zu behalten, zugleich aber sein Gegenüber auch zum Lächeln bringen. (Für diesen Zweck Dialogbäume zu schreiben ist naturgemäß eine Herausforderung. Die gute Nachricht ist aber, dass man kann das ganze Geld das sonst in die Entwicklung von Physik-Engines für realistische Haarbewegungen fließen würde dafür einsparen kann. AutorInnen sind auch viel billiger als Programmierer).

Susan Vance: You're angry, aren't you?

David Huxley: Yes, I am!

Susan Vance: Mm-hmm. The love impulse in man frequently reveals itself in terms of conflict.

(Bringing up Baby, US 1938, D: Howard Hanks)

Akt 1: Das Fest, das furchtbare, furchtbare Fest

Es kommt wie es kommen musste: Das Fest ist noch schrecklicher als befürchtet. Weder A noch B erkennen ein vertrautes Gesicht. Sowohl das Gastgeberpärchen als auch die Gäste entsprechen den von A und B respektive so gefürchteten Schnöseln, sei es nun der elitäre Vorort- oder doch der nicht minder elitäre Vorstadt-Bobo-Stereotyp. Wir schreiben eine Komödie, Stereotype dürfen also ruhig überzeichnet werden. Graphisch wäre eine leicht karikierende Darstellung wie bei den Telltale-Spielen denkbar. Auch eine stilisierende Schwarz-Weiß Optik würde vermutlich gut funktionieren.

Macaulay Connor: I would sell my grandmother for a drink - and you know how I love my grandmother.

(The Philadelphia Story, US 1940, D: George Cukor)

Die SpielerInnen beginnen den Akt mit dem Auftrag auch nur irgendwie ein Minimum an Spaß zu haben. Der Auftrag wird in weißen Lettern eingeblendet, eine Liste potentieller Vergnügungen erscheint und will abgehackt werden. Wie sich bald herausstellen wird, ein aussichtsloses Unterfangen: Das gute Essen ist schon weg, attraktive potentielle PartnerInnen kamen alle in Begleitung und irgendjemand hat es für eine gute Idee gehalten Andreas Gabalier aufzulegen, natürlich mit viel Augenzwinkern und ironisch usw. Damit nicht genug, müssen A und B, fürs Klo anstehend, mit einem Ohr zuhören, wie das Gastgeberpärchen versteckt xenophobe Bemerkungen macht: „Ich hab ja nichts gegen... aber...“. As und Bs Blicke kreuzen sich.

Egal wie unsympathisch sie einander vorher gewesen sein mögen, alle anderen Partygäste sind eindeutig noch unsympathischer. Eine kurzfristige Allianz böte sich an. Reifere Menschen würden vermutlich die Party verlassen, aber A und B haben ja (vom Spiel) den Auftrag bekommen Spaß zu haben. Sie entscheiden sich also lieber dazu Unfug zu treiben und die Party zu sabotieren. Sie haben nur einen begrenzten Zeitraum zur Verfügung und müssen in diesem mehrere Möglichkeiten finden die Party möglichst anspruchsvoll zu hintertreiben. Tabasco unbemerkt in die Bowle zu schmuggeln ist da vielleicht noch einer der banaleren Einfälle. Gut platzierte und möglichst abstruse Gerüchte zu streuen wäre auch eine Möglichkeit. (Das Spiel bietet hier Aussichten für sinnvolle Stealth- und Geschicklichkeitseinlagen.)

Gilda Farrell: It's true we had a gentleman's agreement, but unfortunately, I am no gentleman.

(Design for living, US 1933, D: Ernst Lubitsch)

Das zu erreichende Ziel ist jedenfalls ein möglichst chaotischer Endzustand. (Vielleicht wollen wir aus purer Nostalgie in der Tradition der Sierra Adventures Punkte verteilen?) Erst dann entschließen sich A und B unbemerkt die Party zu verlassen. Der erste Akt endet mit einem Dialog der beiden in einer Bar. Den SpielerInnen wird noch vor den Charakteren klar, dass aus den beiden ein Paar werden muss. Die Entscheidungen, die im Dialog gefällt werden, sollen spürbare Auswirkungen auf die nachfolgenden Akte nach sich ziehen. In diesen ruhigen Momenten entscheidet sich, wie schnell sich die Beziehung, weiterentwickelt. Besonders erstrebenswert wäre natürlich, wenn sich hier überhaupt entscheidet, was im nächsten Akt geschehen wird. (Die Autorinnen werden die zusätzlichen Arbeitsstunden dankend annehmen).

Akt 2+: Eine Autofahrt mit einer Leiche, Verwechslungen, Wirtshausprügeleien, noch mehr Verwechslungen und der Ritt auf einem Angus-Rind.

Die Frage, ob und wann aus A und B ein Paar wird, liegt in den Händen der SpielerInnen. Ganz in der Tradition der klassischen Screwballkomödien bieten sich für die nachfolgenden Akte vor dem großen Finale noch einige abstruse Szenarien an.

Weitere Schlagabtäusche und extravagante Actionsequenzen stehen auf dem Programm: Hochzeiten, die im letzten Augenblick nicht stattfinden; Missverständnisse, die zu Verfolgungsjagden mit der Polizei führen; die Suche nach einer angeblich domestizierten Wildkatze im Grünen; Missverständnisse, die zu einem nächtlichen Einbruch in einer Vorstadtvilla führen... Auf solch hektische absichtlich unübersichtliche Sequenzen folgen jedoch immer wieder Dialoge.

David Huxley: Now it isn't that I don't like you, Susan, because, after all, in moments of quiet, I'm strangely drawn toward you, but - well, there haven't been any quiet moments.

(Bringing up Baby, US 1938, D: Howard Hanks)

Eine Screwball-Komödie im 21. Jahrhundert macht nur als digitales Spiel Sinn

„Unter Screwball Comedy versteht man eine Komödiengattung, deren wichtigste Elemente respektloser Humor, schneller Rhythmus, Dialogorientiertheit, exzentrische Charaktere und der battle of sexes sind. “ Laut Lexikon der Filmbegriffe zeichnet sich eine Screwball-Komödie außerdem durch fünf Charateristika aus – und, nein, Realismus ist keines davon:

(1) Unbegrenzt zur Verfügung stehende Freizeit; (2) „die Filme handeln von Figuren, die nur geringe Verantwortung tragen, das Interesse liegt darauf, Spaß zu haben“; (3) urbane Spielorte; (4) kein politisches Interesse der Figuren (die Aussage der Filme konnte aber sehr wohl politisch sein), (5) die andauernde Frustration der Hauptfigur. Zentraler Moment der Screwball-Komödie ist aber vor allem die Anziehungskraft von Gegensätzen.

Hildy Johnson: [speaking of her fiance] He treats me like a woman.

Walter Burns: Oh he does, does he? Mm-hm... how did I treat you? Like a water buffalo?

(His Girl Friday, US 1940, D: Howard Hanks)

Der Gedanke zu meinem „game that never was“ war mir im Laufe der vielen, vielen Stunden, die ich in den Anfang diesen Jahres nächtens mit Dragon Age Inquisition verbracht hatte, gekommen. Nach langer Zeit war Dragon Age endlich wieder ein Spiel gewesen, in welchem ich gerne meine Zeit verlor. Doch fiel mir beim Spielen auf, dass mir die „eigentliche“ RPG-Spielmechanik, d.h. die Kämpfe, das Erkunden und das Leveln zunehmend gleichgültig geworden waren. Ich erledigte beides eher nebenher. Meine volle Aufmerksamkeit widmete ich oft nur jene Passagen, in welchen es um die zwischenmenschlichen Beziehungen der Heldengruppe ging: Trinkgelage mit Iron Bull, Streiche spielen mit Sera, Fachdiskussionen mit Solas, eine Romanze mit Josephine und mehr oder weniger angeregte Diskussionen mit allen anderen. Ich wollte wissen, was die anderen Charaktere übereinander dachten und herausfinden wie ich Ihre Einstellung mir gegenüber verändern könnte. Zwar hat die Ausarbeitung der Charaktere und Ihrer Reaktionen in Dragon Age noch Entwicklungspotenzial nach oben, aber schon jetzt sind diese Interaktionen der eigentliche Grund dafür, dass ich noch immer gerne Rollenspiele spiele.

Warum also, frage ich mich, gibt es keine Spiele die sich zuallererst auf das Zwischenmenschliche konzentrieren?

Warum also, frage ich mich, gibt es keine Spiele die sich zuallererst auf das Zwischenmenschliche konzentrieren: Dramen von UbiSoft, Liebesgeschichten von Valve und romantische Komödien von EA Games? Und bevor da gleich das Totschlagargument der Hyperkomplexität menschlicher Beziehungen und Interaktionen ins Spiel gebracht wird: ich verlange keine hochkomplexen, hyperrealistischen Gefühlssimulationen. Simple, aber gut geschriebene interaktive Erzählungen im Stile von Telltale Games mit einem Dutzend möglicher Ausgänge würden mir für den Anfang völlig ausreichen. Man soll die Phantasie der SpielerInnen nicht unterschätzen. Wo Spiele in ihren Möglichkeiten an Grenzen stoßen, weiß unsere Vorstellungskraft auszuhelfen. Auch verstehe ich nicht ganz warum – ohne Übertreibung – Millionen in die realistische Darstellung von Kopfhaaren als sinnvollere Investition erschienen als ein großzügiges Budget für ein überzeugendes Script. (Das Thema Haar-Algorithmen hat es mir scheinbar angetan.)

Walter Burns: Look, Hildy, I only acted like any husband that didn't want to see his home broken up.

Hildy Johnson: What home?

Walter Burns: "What home"? Don't you remember the home I promised you?

(His Girl Friday, US 1940, D: Howard Hanks)

Es gab erste zaghafte Versuche. Das reichlich bizarre „Catherine“ (Atlus 2013) war ein interessanter Beitrag in diese Richtung, kam aber nicht ohne einer dominierenden Puzzlemechanik aus und enttäuschte in der vernachlässigten Ausarbeitung der Charaktere. Linden Labs kurzlebige Interactive Fiction App „Versu“ hat es schon etwas besser vorgemacht: Kurze in sich geschlossene Erzählungen wurden hier im Stile einer interaktiven Novelle aufbereitet. Der diskrete Charme eines 1980er-Jahre Spielbuchs scheint aber nicht mehr ganz zeitgemäß.

Am interessantesten war wohl das experimentelle Spiel „Façade“ von Michael Mateas und Andrew Stern (2005). In Façade übernahmen die SpielerInnen die Rolle des Gastes. Vom virtuellen Paar Trip und Grace zum Abendessen eingeladen, wurden sie Zeuge eines eskalierenden Streits und konnten Einfluss auf diesen nehmen. Trotz der Aufnahme in den Computerspielkanon „1001 Games“, blieb der Einfluss des Spielmodells auf die Branche aber vernachlässigbar. Es gibt natürlich im japanischen Kulturraum das Genre der Dating-Sims, aber hier scheint mir die kulturelle Barriere noch zu hoch. In den letzten zwei Jahren war es vor allem Telltale Games, das mit seinen seriellen Abenteuern bewies, dass ein Fokus auf Gefühle und Narration kein Verlustgeschäft sein musste.

Jetzt wäre also vielleicht der Zeitpunkt gekommen das Portfolio um „Romantische Komödien“ (am Namen des neuen Genres darf noch gearbeitet werden) zu erweitern.