Best of: Die Brettspiele des Jahres

Ja, diese Seite heißt "VIDEOGAMEtourism". Trotzdem kennt das Spielen keine Grenzen - auch nicht hin zum Analogen. Gastautor Klemens Franz ist Brettspiel-Illustrator und hat in den letzten zehn Jahren an mehr als 200 analogen Spielen mitgearbeitet. Hier präsentiert er uns drei der spannendsten analogen Spiele des Jahres, die auch digital Spielende reizen könnten. Übrigens: Mit den drei genannten Brettspielen hatte er beruflich nichts zu tun. Er hat sie nur ausgiebig gespielt.

Holding On: Das bewegte Leben des Billy Kerr wurde von Michael Fox (ja, der heißt wirklich so) und Rory O'Connor entwickelt und von Bryn Jones sensibel illustriert. Es ist einer der wenigen zarten Versuche, so etwas wie Serious Games auch auf den analogen Spieltisch zu bringen. Wir betreuen als Krankenpflegerinnen gemeinsam den Herzinfarkt-Patienten Billy und müssen immer wieder abwägen, wie sehr wir uns auch um das Seelenwohl des alten Grantlers kümmern wollen. Pumpen wir ihn mit Medikamenten voll, um seinen Zustand zu stabilisieren, erfahren wir wenig über seine Vergangenheit. Billy hat aber noch einiges zu erzählen. Wir merken schnell: Er hat noch nicht abgeschlossen und ist noch nicht ganz bereit zu gehen. Seine Biografie ist fiktiv, aber in reale historische Ereignisse eingebettet.

Es ist eine sehr persönliche Geschichte, die uns Billy da erzählen will. Getragen wird sie von fragmentarischen Illustrationen und kurzen Texten auf Karten, die erst nach und nach über mehrere Partien ein Ganzes ergeben. Es ist ein Puzzle aus Erinnerungen. Und es ist nicht immer leicht, es macht auch nicht immer Spaß. Das kooperative Spiel stellt uns vor ein Dilemma: Wir müssen sehr mechanische Spielentscheidungen treffen, die aber so unangenehm menschliche Auswirkungen haben. Und damit bildet das Spiel das Thema nicht nur inhaltlich gut ab. Es ist die furchtbare Bürokratie zwischen medizinischer Pflege und empathischer Zuwendung, der sich Menschen jeden Tag stellen müssen.

Nyctophobia wurde von Catherine Stippell entwickelt und passend trashig von Peter Wocken illustriert. Wobei die Bilder auf den Karten schnell in irrelevant werden, denn Nyctophobia spielen wir blind.

Inspiriert durch ihren sehbehinderten Onkel hat Catherine Stippel mit ihrem ersten Spiel ein faszinierendes Erlebnis geschaffen. Eine Spielerin übernimmt die (sehende) Rolle der Axtmörderin (oder der Hexe oder in der Erweiterung auch des Vampirs) und jagt eine Gruppe Teenager durch den Wald. Die Teenager setzen zu Beginn des Spiels eine schwarze Brille auf (empfohlen wird aber eher, die Augen zu verbinden, die Brillen spiegeln furchtbar) und müssen versuchen, den rettenden Weg durch den Wald zu ertasten. Immer nur die angrenzenden Felder dürfen mit einem Finger erkundet werden. Dabei ist die Axtmörderin nicht nur Axtmörderin sondern auch Spielleiterin. Einerseits ist es ihre Aufgabe Angst zu erzeugen, aber die sehende Rolle darf auch nicht ausgenutzt werden, trotz allem müssen die Spielerinnen Vertrauen haben. Behutsam führt sie unseren Finger immer auf die letzte Position und gibt uns Rückmeldung zu unseren Handlungen.

Nyctophobia funktioniert auf vielen Ebenen. Nach zwanzig Minuten Blindheit haben wir uns ein wenig daran gewöhnt, aber gerade die ersten Minuten sind für viele schwer zu ertragen. Wir versuchen, uns das Layout des Waldes taktil zu merken und merken schnell, wie schlecht wir darin sind. Als einzige Form der Gegenwehr können wir Steine werfen. Steine?! Hat schon einmal in irgendeinem Film irgend ein Teenager den Killer jemals mit einem Stein erledigt? Die Atmosphäre ist beklemmend, dann doch comic-haft überzeichnet und faszinierend, steigt und fällt aber vor allem mit der Bereitschaft der Axtmörderin, eben auch Spielleiterin zu sein.

Detective Club wurde im ukrainischen Verlag IGames verleg, von Oleksandr Nevskiy erdacht und von einem Team an Illustratorinnen wunderbar illustriert. Es erinnert mit seinen faszinierend mehrdeutigen Karten an Dixit. Oder auch an Mysterium aus dem gleichen Verlag. Doch wo Dixit für viele eine hohe kreative Hürde darstellt und Mysterium ein großes, thematisch unglaublich dichtes Spiel ist, bleibt Detective Club angenehm stringent. Kein Regelschnickschnack. Als aktive Spielerin sehen wir uns unsere Motivkarten an und entscheiden uns für einen Begriff. Etwa „Haus“. Diesen schreiben wir dann auf kleine Blöcke (ein Block bleibt leer), mischen diese und verteilen sie an die anderen Spielerinnen. Reihum, mit der aktiven Spielerin beginnend, werden möglichst zum Begriff passende Karten ausgelegt.

Und jetzt haben wir das Dilemma: Da eine Spielerin den Begriff nicht kennt, versucht sie aufgrund der bereits ausliegenden Karten, was vielleicht unter Umständen eventuell Passendes auszulegen. Nach zwei dieser Runden muss jede Spielerin noch erklären, warum welche Karte gewählt wurde. Und dann wird getippt, wer den Begriff nicht kannte. Detective Club ist am stärksten, wenn die Verwirrung gelungen ist, wenn Karten zufällig gepasst haben oder wenn einfach kein passendes Motiv auf der Hand ist und etwas Unpassendes gelegt werden muss. Detective Club arbeitet mit unseren Unzulänglichkeiten, unserer Fähigkeit zu assoziieren und zu improvisieren. Aber eben auf eine so angenehm unaufdringliche Art.

Wo uns Holding On in hoher Frequenz vor schwierige Entscheidungen stellt und Nyctophobia schnell aus der Komfortzone holt, bleibt Detective Club sich seiner Natur als Spiel immer bewusst. Wir fühlen uns nie wie Detektive. Das mindert die Freude aber so gar nicht.

Autor: 
Gast